

Die berufliche Integration von Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist für Unternehmen noch immer ein schwieriges Thema. Doch zunehmend findet ein Umdenken statt.
Text: Stefan Kaiser
Fotos: Walter Eggenberger
Ende März 2023. Seit bald zwei Wochen liegt Daniel Brem mit verletztem Rückenmark im Spitalbett. Ängste tauchen auf: Wovon soll die Familie leben? Kann er seinen Betrieb weiterführen? Was geschieht mit seiner Stelle in der Landi? Ein Sturz vom Heuboden der Scheune hat das Leben des 55-jährigen Landwirts aus Rudolfstetten AG mit einem Schlag auf den Kopf gestellt.
An diesem Tag besucht Peter Ringger, Geschäftsführer und Personalverantwortlicher der Landi Furt- und Limmattal, den verunfallten Mitarbeiter. Er sichert ihm zu, dass er seine Halbzeitstelle im Aussendienst auch im Rollstuhl ausüben kann. «Im Rückblick war das ein wichtiger Moment», erzählt Daniel Brem. «Zu wissen, dass die Familie finanziell abgesichert ist und wir auf dem Hof bleiben können – das tat gut.» Der frühe Spitalbesuch seines Chefs gibt dem Frischverletzten eine Perspektive, die ihn durch die gesamte Rehabilitation trägt.

Herzliche Begrüssung: Geschäftsführer Peter Ringger und sein Teilzeitmitarbeiter im Rollstuhl, Daniel Brem.
«Ich kann es gut mit den Leuten»
Aus unternehmerischer Sicht ist das Stellenangebot wohlüberlegt. «Jede andere Lösung wäre teurer gekommen», sagt Peter Ringger. «Dani zu ersetzen – mit seinen Aussendienstfähigkeiten, seinem Auftreten, seinem Wissen und seiner Erfahrung –, das ist schwierig.» Eine Umschulung ins Büro stand für beide Seiten nie zur Diskussion. «Dort wäre er zugrunde gegangen», ist der Geschäftsführer überzeugt.
Anschliessend an die Rehabilitation in Nottwil übernimmt Daniel Brem bereits im November wieder die «Weihnachtstour» und besucht im Auftrag der Landi andere Landwirte zum Erfahrungsaustausch.
Doch diesmal müssen ihn seine Frau Cäcilia und Landi-Mitarbeitende herumchauffieren, denn die Sozialversicherungen klären noch ab, ob es für seine Arbeit wirklich ein umgebautes Auto braucht. Das gleiche gilt für einen geländegängigen Elektrorollstuhl, mit dem er über Kiesflächen und aufs Feld fahren kann.
Mitte 2024 werden beide Gesuche bewilligt. Ab jetzt kann er wieder selbstständig erledigen, was er am liebsten macht: Mit seinen Berufskolleginnen und -kollegen über landwirtschaftliche Themen diskutieren. «Ich kann es gut mit den Leuten», sagt er. Und die Leute vertrauen ihm. Sie wissen, dass er ihnen kein Produkt andrehen würde, das ihnen nichts bringt. Deshalb stimmt auch sein Umsatz.
Nur kleine Anpassungen nötig
Geschäftsführer Peter Ringger ist überzeugt, dass jeder Mensch etwas besonders gut kann. «Diesen Punkt muss man erkennen», sagt er. «Und vielleicht den Job den Fähigkeiten anpassen.» Wollen sich Mitarbeitende nach einem schweren Unfall oder einer Krankheit weiterhin für seine Genossenschaft einsetzen, werden Lösungen gefunden. «Wir suchen solche Situationen nicht bewusst», sagt er. «Aber wenn sie eintreffen, sind wir gedanklich offen und wagen auch etwas.» Seine Belegschaft umfasst zehn Prozent «Menschen mit erschwerten Voraussetzungen», wie er sie nennt. Bereuen musste die Geschäftsleitung ihre Entscheide bisher nie.
«Dani kann man nicht einfach so ersetzen.»
Für Daniel Brem waren nur kleine Anpassungen nötig. Etwa der Einbau eines Treppenlifts zum Büro und der Hinweis an die Belegschaft, dass keine zwischengelagerten Gegenstände seinen Rollweg blockieren dürfen. Oder dass man dem Rollstuhlfahrer rasch ein paar schwere Säcke ins Auto einlädt. Eine Sonderbehandlung bekommt er aber nicht. Er arbeitet im gleichen Halbzeitpensum wie vor dem Unfall, seine notwendigen Erholungspausen legt er ausserhalb dieser Stunden.
Lohnt sich der Aufwand? Der Schlüssel zur Anstellung von IV-Mitarbeitenden sei, dass man die Arbeitsstunden anders abrechnet, erklärt Peter Ringger: «Für die Mehrzeit, die sie benötigen, bekommen wir Beiträge der Invalidenversicherung.» Das schaffe auch Anreize für die Filialleitungen. Der Geschäftsführer vergleicht die Situation mit der Betreuung von Lehrlingen. Als besonders positiv beschreibt er die Effekte der IV-Mitarbeitenden auf die Firmenkultur und das Zusammengehörigkeitsgefühl im gesamten Team.
Wegweiser im Dschungel
Daniel Brems berufliche Integration gelang in einem mehrstufigen Prozess, der von der Abteilung ParaWork in Nottwil betreut wurde. Da er neben seiner Stelle in der Landi auch einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb mit Mutterkühen führt, waren drei Sozialversicherungen involviert. «Die Frage, wer wofür aufkommt, war alles andere als einfach», sagt Stefan Staubli, Leiter Soziale und Berufliche Integration am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ).
Am grossen runden Tisch führte er Verhandlungen, zeigte Möglichkeiten auf, trieb Lösungen voran. Mit medizinischen Fachpersonen des SPZ stimmte er die Fokuspunkte des Prozesses ab.
Auch die Beratung des Arbeitgebers war wichtig: Was bedeutet eine Paraplegie im Betriebsalltag? Wie viel kann man Daniel Brem zumuten?
Das Schöne dabei: Alle Beteiligten waren bereit, den Prozess mitzutragen und mitzugestalten. «Dass wir es gemeinsam immer wieder geschafft haben, lösungsorientiert das nächste Etappenziel anzugehen, darauf bin ich stolz», sagt Stefan Staubli. Für Daniel Brem war die Unterstützung durch ParaWork ein «Wegweiser im Dschungel». Dieser zeigte ihm den Weg zurück zur Arbeit – über alle Hürden von Versicherungen und Ämtern hinweg.
Ein «Muni» für den Skilehrer
Zwei Jahre nach seinem Unfall findet sich Daniel Brem in seinem neuen Leben gut zurecht. Am meisten belasten ihn die Schmerzen im ganzen Körper, die er rund um die Uhr ertragen muss. Mit Hilfe der Schmerzklinik des SPZ und starker Medikamente hat er einen Weg gefunden, seine Dauerschmerzen zu akzeptieren.

Daniel Brem mit Zuchtstieren auf seinem Hof in Rudolfstetten AG.
Die einzige Leidenschaft, die er sich früher gönnte, waren einige Tage Skiferien im Jahr. Als er seinem Arbeitgeber einmal erzählte, dass auch dies nun nicht mehr gehe, organisierte Peter Ringger einen Familienausflug nach Sörenberg, wo für den Paraplegiker ein spezialisierter Skilehrer mit einem Skibob bereitstand. Der Skilehrer war selbst ein Bauer mit Mutterkühen, so ergab es sich, dass ihm Daniel Brem beim «Skihüttenzvieri» gleich noch einen Zuchtstier verkaufte.
Um eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen, muss man unvoreingenommen auf Menschen zugehen, sagt Peter Ringger. «Keine Behinderung zu haben heisst ja nicht, dass man automatisch alles kann. Menschen mit erschwerten Voraussetzungen können etliche Sachen besser als wir. Man muss nur herausfinden, wo man sie am besten einsetzt.»
Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt.
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