Das Tablet steigert sein Selbstbewusstsein
Elias Heeb kam mit einer Cerebralparese zur Welt. Seine Motorik ist beeinträchtigt, sein Sprechvermögen eingeschränkt. Dank eines elektronischen Hilfsmittels kann er offen auf Menschen zugehen.
Elias sitzt am Schlagzeug und hämmert drauflos. Sein Gesicht zeigt: Der Achtjährige ist glücklich, als es laut wird im Kinderzimmer, seine Eltern beobachten ihn mit einem Lächeln. «Elias ist ein aufgestellter Bub», sagt Anita Heeb. Ihr Mann Fabian ergänzt: «Er bereitet uns viel Freude.» Seine Zufriedenheit lässt sich Elias auch von der Einschränkung nicht nehmen, die ihn von Geburt an begleitet. Als er am 8. Mai 2014 zur Welt kommt, leidet er an Sauerstoffmangel, muss sogar wiederbelebt werden. Die ersten Wochen verbringt er im Kinderspital. Erst nach zwei Jahren erhalten Anita und Fabian Heeb die Diagnose, die eine grosse Herausforderung ist: Cerebralparese (CP). Elias’ Motorik ist beeinträchtigt und sein Sprachvermögen erheblich gestört. Die Eltern müssen sich zuerst mit dem Krankheitsbild auseinandersetzen. Was bedeutet das für Elias? Welche Auswirkungen hat es für seine Zukunft? Wird er gehen können? Wird er jemals sprechen?
Mit dem Tablet findet er Worte
In Eichenwies im St.Galler Rheintal besucht Elias zwei Jahre lang die Spielgruppe und regelmässig Therapiestunden. Eine Logopädin setzt sich dafür ein, dass er ein Kommunikationsgerät bekommt – ein Tablet, auf dem Piktogramme und Bilder gespeichert sind. Sie ermöglicht es dem Jungen, sich differenziert mitzuteilen. Mit den Eltern und seiner jüngeren Schwester Nina kommuniziert er ohne Tablet. Sie verstehen seine Worte und seine Gestik. Aber ausserhalb des Elternhauses hilft ihm die elektronisch unterstützte Kommunikation, um sich mit allen anderen zu verständigen. Das steigert auch sein Selbstvertrauen. Rund 5000 Wörter umfasst das Vokabular, das laufend erweitert und personalisiert werden kann. Das Tablet ist ein Hilfsmittel der Active Communication, einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS). Elias hat sich mühelos an den Umgang damit gewöhnt. Er findet innert Kürze Worte, die er selbst noch nicht verbal formulieren kann. Und wenn er auf das entsprechende Piktogramm drückt, hört er eine Stimme, die das Wort deutlich ausspricht.
Die kleine Schwester schützt Elias
Einige Eltern befürchten, dass ein solches Hilfsmittel eher hemmend darauf wirkt, sich mit der Stimme auszudrücken. Diese Sorgen teilt Susanna Berner nicht, oft sei das Gegenteil der Fall. «Das Tablet regt zur lautsprachlichen Kommunikation an», sagt die Beraterin von Active Communication. «Wenn ein Kind die Fähigkeit hat, sich mit der Stimme mitzuteilen, macht es das auch. Das geht viel schneller und bedeutet weniger Aufwand, als ein Hilfsmittel zur Kommunikation herbeiziehen zu müssen.» Zahlreiche Studien und Erfahrungswerte aus der Praxis belegen, dass der frühe Einsatz von Unterstützter Kommunikation (UK) dabei hilft, die Entwicklung der Lautsprache zu fördern.
Unerlässlich ist für Susanna Berner, dass neben dem betroffenen Kind auch die Menschen geschult werden, die ihm am nächsten sind. Dazu zählt das schulische und therapeutische Umfeld. Im Fall von Elias spielt seine sechsjährige Schwester Nina eine wichtige Rolle. Der kleine Wirbelwind stellt sich schützend vor ihren Bruder. Wenn sie sich jemandem vorstellt und Elias ist dabei, dann sagt sie oft: «Ich bin Nina. Das ist mein Bruder Elias. Und er hat eine Behinderung.» Manchmal sagt sie auch: «Ich verstehe schon eine Fremdsprache ...» Sie meint damit die Worte ihres Bruders. Elias Heeb besucht in St.Gallen die Unterstufe einer CP-Schule und meistert die einstündige Hin- und Rückfahrt ohne zu murren. Morgens um 7 Uhr holt ihn der Schulbus ab, gegen 17 Uhr bringt er ihn nach Hause zurück. In der Schule trifft sich Elias fast in jeder Pause mit Matheus, seinem Freund aus einer anderen Klasse. Und seit einigen Monaten zählt der Mittwoch zu den Höhepunkten der Woche: Dann besucht er in Heerbrugg die Sportstunden von Plusport Rheintal.
Ein selbstbestimmtes Leben führen
Was morgen sein wird und was die Zukunft alles noch bringt, können die Eltern nicht sagen. Sie verzichten darauf, darüber zu spekulieren. Sie sind dankbar, dass ihr Bub in der Gegenwart ständig kleine Fortschritte macht und über normale geistige Fähigkeiten verfügt. «Wir setzen alles daran, dass er einmal ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen kann», sagt Fabian Heeb. Seit Längerem hatte Elias keinen epileptischen Anfall mehr. Inzwischen schafft er es, selbstständig aufzustehen und hundert Schritte ohne Unterbruch zu gehen. Ansonsten dient ihm ein Rollator als Gehhilfe. Er überwindet Hürden dank seinem Willen, und er hat Spass am Spielen wie andere Buben in seinem Alter auch: Playmobil, Lego, Jassen, Sandburgen bauen, die Rutschbahn runtersausen, schöne Ferientage mit Mama, Papa und der Schwester geniessen. Elias ist ein offenes Kind. Er geht aktiv auf Menschen zu und zückt, wenn nötig, sein Tablet, wenn er etwas sagen möchte. Oder er drückt seine Gefühle auf andere Weise aus – etwa, wenn er am Schlagzeug demonstriert, wie unbeschwert und vergnüglich sein Leben ist.
Text und Bilder: Paraplegie, Dezember 2022
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