Header_CyrillGuyer

Technik auf den Punkt gebracht

Ein Mausklick kann ein Leben verändern: Digitale Hilfsmittel geben Tetraplegikern wie Cyrill Guyer ein Stück Freiheit zurück.

Sein linker Arm und die Hand ruhen auf der Lehne des Elektrorollstuhls. «Auf dieser Seite habe ich keine Funktionen mehr», erklärt Cyrill Guyer, dessen vierter Halswirbel bei einem Sturz mit dem Motorrad im August 2003 zertrümmert wurde. Beim rechten Arm hingegen arbeitet die Schultermuskulatur noch, dazu kommt eine minimale Bewegung der Hand. «Jede noch so kleine Regung, die etwas bewirken und bedienen kann, macht mein Leben ein Stückchen weniger umständlich», sagt der Tetraplegiker.

Digitale Helfer im Alltag

Cyrill Guyer lebt und arbeitet heute in der WG Fluematt in Dagmersellen LU, ist während 24 Stunden am Tag auf Hilfe angewiesen – aber nicht permanent. Dank digitalen Hilfsmitteln kann der 43-jährige Berner vieles in seiner Umgebung und in seinem Zimmer selber bedienen und steuern: Türen und Rollläden, Computer und Telefon, Musikanlage und Fernseher. Smartphones haben in den vergangenen Jahren einiges vereinfacht – doch ohne eine individuelle Anpassung an die Bedürfnisse und motorischen Möglichkeiten der Nutzer geht es nicht.

Unter der linken Armlehne versteckt ist ein cleveres Gerät namens HouseMate. Das schwarze Kästchen ist sozusagen das Herzstück. In Kombination mit der App ClicktoPhone macht es möglich, dass Cyrill Guyer sämtliche Geräte, die über Infrarot-Signale steuerbar sind, selber bedienen kann. So auch sein Smartphone, und mit ihm unzählige Apps und digitale Helfer.

Beim Einrichten, Erproben und Anpassen hat Raphael Knörr von der Active Communication geholfen. Damit er für die Projekte seiner Kunden die nötigen Einzelelemente findet und zum Laufen bringt, braucht es manchmal schon Tüftler-Flair: «Denn am Schluss müssen alle Komponenten aufeinander abgestimmt sein und die gewünschten Funktionen der Kunden erfüllen.»

Ein Punkt auf der Stirn steuert die Maus

Cyrill Guyer rollt an sein Pult, wo zwei grosse Bildschirme für seine Arbeit parat stehen. Vor seinem Unfall war er Zimmermann und hatte eine Zweitausbildung als Metallbauschlosser. Aufgrund der hohen Lähmung war die Rückkehr in einen handwerklichen Beruf jedoch unmöglich. «Deshalb habe ich eine Umschulung gemacht und dabei gelernt, mit CAD umzugehen», erzählt er. Also das computerunterstützte Zeichnen und Entwerfen von Plänen, Bildern und verschiedenen Sujets.

cyrill_guyer_im_elektrorollstuhl_seitlich_vor_bildschirm.jpg

Zwei Bildschirme, eine Kopfmaus und viel Geschick. Cyrill Guyer entwirft am Computer Karten und Sujets für Textildrucke – ganz nach den Wünschen der Kunden.

Die Umschulung zum Maschinenteilzeichner hat ihn in die digitale Welt katapultiert, die er trotz aller Einschränkungen heute bestens nutzen kann. Dazu klebt auf seiner Stirn ein silberner Punkt. Die sogenannte Kopfmaus, die über dem Computer angebracht ist, nimmt diesen Punkt als optischen Sensor wahr – und wenn Cyrill den Kopf bewegt, bewegt sich auch der Mauspfeil auf dem Bildschirm. «Das funktioniert nicht jeden Tag gleich gut», erzählt er. Die eigene Körperschwingung ist manchmal kräftiger oder Spasmen sorgen für ungewollte Bewegungen.

Der Mausklick wiederum erfolgt über die rechte Hand und den Joystick am Rollstuhl. «Die Koordination zwischen Kopf und Arm muss also stimmen.» Darin hat er Übung, schaut konzentriert diverse Ordner durch, sucht nach einer bestimmten Datei, öffnet eine Grafik und zeigt, wie er geschickt Einzelteile einer Zeichnung herumschieben kann.

Will Cyrill einen Text schreiben, passiert das idealerweise über eine Diktierfunktion. Doch wenn die streikt – so wie jetzt gerade –, geht es auch per Mausklicks auf die Buchstaben einer Tastatur. «Das braucht dann aber Geduld.»

tetraplegiker_cyrill_guyer_im_rollstuhl_von_hinten_vor_zwei_bildschirmen.jpg

Die Kamera über dem Bildschirm erfasst den silbernen Punkt, der auf der Stirn klebt, und dient so als Maus.

Die Active Communication hilft mit dem IV-Gesuch

Um für Cyrill einen Computer, Unterhaltungselektronik oder Geräte im Haushalt einzurichten, gibt es auf dem Markt verschiedene technische Hilfsmittel und Tools. Um diese alle miteinander zu verbinden, mit Bluetooth oder Infrarot, über diverse Schnittstellen und Programme – dafür braucht es Profis wie Raphael Knörr, die alle Tricks und Kniffe kennen.

Es sei möglich, Geräte wie Tischlampen mittels einfacher Steckdosenempfänger ein- oder auszuschalten, meint Knörr. «Aber grössere Projekte brauchen auch mal bauliche Anpassungen» – z. B. elektronische Türöffner oder Smart-Home-Systeme für das Steuern von Deckenlichtern, Storen oder Fenstern.

«Was unsere Arbeit einfacher machen würde? Schnittstellen, die das Ansteuern über spezielle Geräte – wie eine Augensteuerung – ermöglichen.»

Raphael Knörr, Berater Active Communication

Das Team von Active Communication begleitet Betroffene auch bei Fragen rund um die Finanzierung von technischen Hilfsmitteln (siehe Infobox unten). In der Regel wird dafür ein Gesuch bei der Invalidenversicherung eingereicht. Diese beauftragt dann die entsprechenden Fachpersonen mit den nötigen Vorabklärungen, woraus ein Bericht inklusive Kostenvoranschlag entsteht. Dabei geht es nicht nur um die Beschaffung der Geräte oder Tools, sondern auch um das Einrichten und das Training für die Betroffenen.

Der Körper setzt Cyrill klare Grenzen

Cyrill Guyer hat in all den Jahren diverse Hilfsmittel kennengelernt und ihre Entwicklung hautnah miterlebt. «Von Geräten ohne Display über Schwarz-Weiss-Monitore bis zum Smartphone.» Bei seinem neusten Rollstuhl sind nun selbst Funktionen in den Nackenstützen integriert.

Und die Entwicklung geht rasant weiter, ist Fachmann Knörr überzeugt: «Augen- und Sprachsteuerungen werden sich in den nächsten Jahren stark verbessern.» Er selber sucht intensiv nach Lösungen im Bereich Assistive Gaming, da die Nachfrage in diesem Segment stetig steigt. Doch da die motorischen Möglichkeiten der Kunden sehr unterschiedlich sind, gibt es auch hier kaum ein Universalrezept.

«Ohne die Hilfe von Experten wie Raphael Knörr könnte ich kaum Nutzen aus all den technischen Hilfsmitteln ziehen.»

Cyrill Guyer, Tetraplegiker
cyrill_guyer_im_rollstuhl_bedient_computermaus_via_joystick.jpg

Über den Joystick am Rollstuhl kann Cyrill Guyer einen Mausklick am Computer machen. Verbunden sind die Geräte via Bluetooth.

Nach seiner Umschulung hat Cyrill Guyer zuerst für ein Bauplanungsbüro gezeichnet, dann für eine Firma, die auf Spiel- und Sportanlagen spezialisiert ist. Doch letzterer war sein Output schliesslich zu gering. «Es geht halt alles etwas langsamer – und ich kann nicht sieben Stunden pro Tag vor dem Computer sitzen», erklärt der Tetraplegiker. Sein Körper setzt da klare Grenzen. Jetzt arbeitet er für das hauseigene Atelier, entwirft Sujets für Karten und Textildrucke, erfüllt individuelle Kundenwünsche. «Die Arbeit am PC mache ich von A bis Z selber.»

 

Text und Bilder: Christine Zwygart

Video: Active Communication

Mitglied werden
Mitglied werden

Werden Sie jetzt Mitglied und erhalten Sie im Ernstfall 250 000 Franken.

Mitglied werden
Spenden
Spenden

Spenden Sie jetzt und unterstützen Sie unsere Projekte zugunsten von Querschnittgelähmten.

Spenden