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«Mit Leuten wie mir zusammenleben», Aus der Stille heraus (6/6)

Nach einem ohrenbetäubenden Schweigen ist Floriane Willemin nun in der Lage, ihre Bedürfnisse zu äussern. Einfache Bedürfnisse: «Ich möchte in einem Haus mit Leuten wie mir leben, die meine Freunde sind.»

 

Zwischen Louanne Maillard, einer jungen sozialpädagogischen Assistentin im Foyer des Fontenattes in Boncourt und Floriane Willemin stimmt die Chemie. Das merkt man an den Blicken, die sie austauschen und an der Mimik der Bewohnerin.

Netflix und Einkaufsbummel

«Flo ist sehr lustig, sie hat viel Humor, sie lacht gerne. Sie schaut gerne Serien oder Filme auf Netflix, verbringt Zeit alleine und geht draussen spazieren», sagt die junge Bezugsperson, die sie regelmässig ins Restaurant oder auf einen Einkaufsbummel begleitet. Im vergangenen August besuchten beide den MarchéConcours in Saignelégier, sehr zur Freude von Floriane, die in ihrem ersten Leben auf dem Bauernhof ihres Onkels in den Freibergen geritten war. «Seit sie hier ist, verlange ich nichts mehr und es passiert viel», freut sich Marie-Andrée Willemin, die gekommen ist, um ihre Tochter vor einigen Tagen in die Ferien zu verabschieden.

Mehr Erfüllung

«Die Tatsache, dass sie kommunizieren kann, ermöglicht es ihr, ihre Entscheidungen zu treffen, sich in einem Kleid, das sie sich ausgesucht hat, hübsch zu fühlen, zu entscheiden, welchen Lippenstift sie kaufen oder was sie essen möchte. Das ist wichtig für sie», sagte Louanne Maillard. Alle, die mit Floriane zu tun haben, bestätigen, dass sie erfüllter wirkt, seit sie mit der Aussenwelt kommunizieren kann. «Im Moment bin ich zufrieden», sagte sie in unserem Interview.

Lust auf Leben

Floriane ist eine echte Kämpferin und hat eine beeindruckende Willensstärke und ungeahnte Kräfte bewiesen. Ihre Mutter erinnert sich: «Sie wurde im Sternzeichen Widder geboren. Vor ihrem Unfall sagte sie immer, sie habe den Charakter eines Widders.» Trotz ihrer schweren Behinderung ist Floriane nicht lebensmüde. Sie hängt sogar am Leben. Ihre Aussagen zu diesem Thema sind eindeutig. Während der Pandemie sagte sie, sie wolle ins Krankenhaus gebracht werden, wenn sich ihr Zustand verschlechtere, sie wolle intubiert werden, wenn es nötig sei und gerettet werden. «Die Heilpädagogin Laure Nusbaumer, die mit der Befragung betraut war, betonte: Um jeden Preis?» «Ja», lautete ihre Antwort. Deutlicher kann man es kaum sagen.

«Der Ort, an dem ich lebe, ist mir nicht gleichgültig.»

Floriane Willemin

Und was ist morgen? Laure Nusbaumer, die ihr bei der Arbeit am Computer hilft, ermutigt sie, zu akzeptieren, dass auch andere ihr helfen können. Es werden Schritte unternommen, um ihr die Kommunikation zu erleichtern. Schliesslich testet Floriane einen Computer mit Augensteuerung, bei dem die Steuerung des Mauszeigers über die Augen erfolgt, aber ihre Sehbehinderung erschwert die Dinge.

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Ein angepasster Wohnort

Seit sie im Foyer des Fontenattes lebt, profitiert Floriane Willemin von einer günstigen Betreuung, die es ihr insbesondere ermöglicht hat, zu zeigen, dass sie das Stadium des Minimalbewusstseins überschritten hat und in Kommunikation treten kann. Eine Umgebung, die es ihr auch ermöglicht hat, zu lernen selbstständig zu essen. «Mit sichtlichem Vergnügen», stellt ihre Mutter fest. Allerdings kann Floriane, die eine gewisse Ruhe geniesst, die Schreie der mehrfach behinderten Menschen um sie herum in Boncourt nur schwer ertragen.

Nachforschungen angestellt

«Der Ort, an dem ich lebe, ist mir nicht gleichgültig», schreibt sie. Als wir sie fragten, was sie sich heute wünscht, antwortete sie: «Ich habe einige Nachforschungen über Menschen angestellt, die sich in der gleichen Situation wie ich befinden. Eine gute Idee für die Zukunft wäre es, mit Menschen wie mir zusammenzuleben. Sie wären meine Freunde.» In einer angepassten und stimulierenden Umgebung. Kurz gesagt, die Bewohner mit ihren intellektuellen Fähigkeiten aufnimmt. Soweit bekannt, gibt es solche Einrichtungen in der Deutschschweiz, in Genf und im Wallis. Floriane weiss aber auch, dass sie, um dieses Projekt zu verwirklichen, noch Fortschritte in der Kommunikation mit anderen machen muss, um unabhängiger zu werden. Am Ende dieser Woche mit Floriane möchte ich ihr das Schlusswort geben: «Es wäre schön, wenn das Leben für Menschen wie mich leichter wäre.» Das wäre schön.

 

© Dieser Artikel wird mit der Genehmigung der Editions D+P SA, der Verlagsgesellschaft des Quotidien Jurassien, 8. Oktober 2022, veröffentlicht.

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