Der 18-jährige Dario Christen stürzte beim Freeskifahren und ist seitdem Tetraplegiker.

«Ich hadere nicht und frage nicht nach dem Warum.»

Der 18-jährige Dario Christen stürzte beim Freeskifahren so schwer, dass er seither Tetraplegiker ist. Nun hilft ihm ParaWork dabei, sich beruflich neu zu orientieren.

Seit acht Monaten ist Dario Christen im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Dort kämpft sich der mittlerweile 18-Jährige Stück für Stück zurück ins Leben. Verschiedene Therapien bestimmen seit Wochen seinen Alltag. In gut einem Monat wird Dario entlassen – er kommt zurück nach Hause auf die Lenzerheide.
Die Freude ist gross.

Originalartikel: Denise Erni / Südostschweiz
Bilder: Marco Hartmann Fotografie

Es ist kurz nach 14 Uhr. «Dario sollte jeden Moment eintreffen», sagt Peter Senn. Und wie aufs Stichwort kommt Dario Christen mit seinem Rollstuhl herangerollt. Der mittlerweile 18-Jährige, der im März dieses Jahres beim Freeskifahren so schwer stürzte und seither Tetraplegiker ist, lächelt. Gut sieht er aus, er ist kräftiger geworden. Mit den Kopfhörern um den Hals und dem Käppi auf dem Kopf begrüsst er Peter Senn. Und dann beginnt er direkt mit der Arbeit. ParaWork heisst die Therapiestunde.«Das ist aber nicht einfach ein bisschen spielen», konkretisiert Peter Senn, Fachlehrer ParaWork und zuständig für Technik und Handwerk.«Wir suchen hier ernsthaft nach Lösungen.» Denn ParaWork hilft Patienten wie Dario, eine neue berufliche Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt zu finden.

Gelöst und stolz auf «seinen» Patienten. Peter Senn von ParaWork im Gespräch mit Dario, dem 18-jährigen Querschnittgelähmten.

Gelöst und stolz auf «seinen» Patienten. Peter Senn (links) im Gespräch mit Dario, freut sich, dass dieser so gut unterwegs ist.

Die Achterbahn, das Meisterstück

Als Dario verunfallte, war er im zweiten Lehrjahr zum Schreiner. Diesen Beruf wird er mit seiner Behinderung nicht mehr ausüben können. Durch die Hilfe von Peter Senn und seinem Team fand er in den letzten Monaten eine neue berufliche Perspektive. «Ich möchte eine Ausbildung zum Konstrukteur ins Auge fassen», sagt Dario und führt die eigens für Tetraplegiker konstruierte PC-Maus über den Tisch. Konzentriert schaut er auf den Bildschirm, er ist in den letzten Arbeitsschritten für sein Meisterstück. «Meine Achterbahn», sagt er und strahlt. Peter Senn holt die einzelnen Teile hervor und zeigt, wie Dario alles bis ins Detail geplant hat. Er freut sich, dass «sein» Patient so gut unterwegs ist.

 

«Ich musste mich diesem Schicksal hingeben, obwohl ich hoffte, dass alles nur ein böser Traum sei.» 

Alles andere als motiviert

Vor allem die erste Zeit war für Dario, der von einer Sekunde auf die andere mit einem neuen Leben zurechtkommen musste, sehr hart. Peter Senn erinnert sich an Darios ersten Besuch Anfang Mai. «Er war nicht wirklich hochmotiviert», sagt er. «Ich war oft nicht motiviert», bringt es Dario auf den Punkt und lacht. «Das ist aber auch verständlich», sagt Senn. Es brauche Zeit, sich neu zu orientieren, und der Unfall sei ein enormer Einschnitt in Darios Leben gewesen. «Ich wollte doch wieder gehen», sagt Dario, «musste mich dann aber diesem Schicksal hingeben, obwohl ich hoffte, dass alles nur ein böser Traum sei». 

Dass es kein böser Traum, sondern bittere Realität ist, hat Dario «akzeptiert, verarbeitet aber nicht», wie er sagt. Er wird für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen. Doch Dario ist ein Kämpfer und Peter Senn schaffte es, diesen Kampfgeist in ihm wachzurütteln. Der junge Mann fing an, mit einem 3-D-CAD-Konstruktions-Programm zu arbeiten und designte kurze Zeit später erste Produkte. Diese druckte er auf dem 3-D-Drucker aus. «Das erste war ein kleiner Teddybär», erinnert sich Dario. Er war angetan vom Programm und Drucker und fing an, sich in die Sache zu vertiefen.

Der Querschnittgelähmte arbeitet oft am Computer - mit der eigens für Tetraplegiker konstruierten PC-Maus.   Dario arbeitet oft am Computer - mit der eigens für Tetraplegiker konstruierten PC-Maus.

Dario arbeitet oft am Computer - mit der eigens für Tetraplegiker konstruierten PC-Maus.

Die Physiotherapie, ein Kraftakt

Nun ist es Zeit für die nächste Therapie an diesem Nachmittag. Obwohl Dario viel lieber in der Werkstatt bleiben würde - die Physiotherapie wartet. Eine Etage tiefer im Paraplegiker-Zentrum rollt Dario durch den grossen Therapiesaal, wo Liege neben Liege steht. «Heute habe ich im geschlossenem Raum Therapie», sagt er. Dort im Zimmer wartet bereits sein Physiotherapeut Tobias Becker, der ihn seit Juni täglich eine Stunde betreut. Die Physio gehört nicht zu Darios Lieblingstherapie, aber «ich weiss, wie wichtig sie ist und dass ich sie darum nicht ausfallen lassen darf», sagt er.

Therapeut «Tobi» zieht Dario die Turnschuhe aus, dann ergibt ein Wort das andere, die beiden machen Spässe, provozieren sich, lachen, bevor es an die Arbeit geht. Dario soll sich vom Rollstuhl auf die Liege transferieren - alleine. Eine pure Kraftanstrengung. Dario kämpft, versucht mit seinen Armen, sein Gesäss anzuheben und sich auf die Liege zu schieben. «Probier es», sagt Tobias Becker. «Schieb! Ja, probier nochmals! Es geht.» Es braucht wahnsinnig viel Kraft, bis Dario vom Rollstuhl auf der Liege ist, doch er kämpft und sein Kopf ist ob der Anstrengung rot. Dann hat er es geschafft, er darf sich zurücklehnen. Becker massiert seine Schulter.

Nach dem anstrengenden Transfer vom Rollstuhl auf die Liege beginnt die Physiotherapie.

Der anstrengende Transfer vom Rollstuhl auf die Liege ist erst der Anfang der Physiotherapie von Dario.

Den Fahrausweis vor Augen

Es ist wichtig, dass Dario den Transfer übt, denn diesen braucht er künftig, wenn er sein eigenes Auto hat. «Das kommt schon bald», strahlt er. «Ich hatte bereits zwei Fahrstunden». Morgen stehet die dritte an. Sein Ziel ist es, bis zur Entlassung Mitte Dezember den Fahrausweis in der Tasche zu haben. «Das gibt mir ein Stück Selbständigkeit zurück», sagt er. «Ich kann so wieder alleine aus dem Haus». Er freut sich aufs Heimgehen, auf seine eigenen vier Wände und auf seine Freunde. Neun Monate wird er dann in Nottwil gewesen sein. «Ich fühlte mich gut aufgehoben», sagt er.

«Er hat nie gejammert»

Die Physiotherapiestunde ist noch nicht ganz um, die Schulterstabilität muss noch trainiert werden. Dario versucht dabei, etwas zu mogeln, Becker durschaut dies sofort. Beide lachen. «Sein Ehrgeiz ist unglaublich», sagt der Therapeut. «Er hat nie aufgegeben.» Dabei habe Dario auch immer wieder versucht, seinen Willen durchzusetzen - und seinen Kopf auch angeschlagen, sagt der Therapeut. «Aber das ist gut so. Dario wollte es trotzdem versuchen». Wenig Einblick hat Becker in Darios Seelenleben bekommen. «Er hat sich im Vergleich zu anderen Patienten sehr selten geäussert», sagt Becker. «Er hat nie gejammert oder geflucht.» «Es ist so, wie es ist», sagt Dario. «Ich hadere nicht, ich frage nicht nach dem Warum». Es bringe ihn nicht weiter.

Dario freut sich jetzt auf den nächsten Schritt, die Heimkehr in gut einem Monat auf die Lenzerheide.

 

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