«Mein Traum ist es, 50 Meter zu laufen»
Sein Leben hing am seidenen Faden. Seine Verletzungen waren derart schwer, dass seine Familie tagelang um sein Leben bangte. Peter Hofstetter kämpfte sich nach seinem Unfall Schritt für Schritt zurück ins Leben. Heute setzt er alles daran, sein grosses Ziel, 50 Meter zu laufen, bald zu erreichen. Und mit seinem Engeli-Chäsli-Projekt will er denjenigen Menschen danke sagen, die ihn zurück ins Leben begleitet haben.
Text: Vera Hool
Anmerkung: Die Bilder wurden vor Corona aufgenommen.
Und plötzlich donnerte ein Ast auf ihn...
Mit Feuerwerk, vielen Freuden und guten Vorsätzen startete Peter Hofstetter ins Jahr 2018. Es sollte ein gutes, spannendes Jahr werden. Sollte… Aber für Peter Hofstetter kam alles anders. Von einem Tag auf den anderen...
Am 8. Januar 2018 machte er sich mit seinem Sohn Lukas auf in den Wald, um den von der Eschenwelke befallenen Eschenbaum zu fällen. Eigentlich eine Routinearbeit für den 58-jährigen. Und doch kam es anders... Im Winter trägt die Esche keine Blätter mehr. Es war daher nicht erkennbar, wie krank der Baum wirklich war. Peter fällte den Baum fachmännisch korrekt und ging keine unnötigen Risiken ein. Der Spitz der Esche brach dann aber völlig unerwartet ab und donnerte auf Peter Hofstetter hinab. Sein Sohn Lukas hörte den knacksenden Baum, den sein Vater vor wenigen Minuten fällte. Aber wo war Peter bloss? Lukas konnte seinen Vater nirgends sehen. Auch die Sägegeräusche blieben aus. Seine unzähligen Rufe blieben unbeantwortet. Es herrschte absolute Stille. Lukas, der ausserhalb der Gefahrenzone war, rannte in Richtung des gefällten Baumes und sah seinen Vater am Boden liegen – bewusstlos.
«Meine Familie wusste nicht, ob ich überlebe»
Von seiner Rettung weiss Peter Hofstetter nichts mehr. Vier ganze Wochen fehlen in seinem Gedächtnis - Selbstschutz vom Körper, wie er mir erzählt. Seine Verletzungen waren gravierend: mehrfache Rippenbrüche, eine Rippe durchbohrte seine Lunge, eine Hirnblutung und Verletzungen an der Wirbelsäule. Sein Leben hing am seidenen Faden.
Nach drei Wochen auf der Intensivstation des Luzerner Kantonsspitals wurde er nach Nottwil ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum verlegt. Erst nach vier Wochen realisierte er, dass er seine Beine nicht mehr spürte. Ein Schock für den fünffachen Familienvater. Einfache Dinge wie ein Bein anheben oder sich im Bett drehen gingen plötzlich nicht mehr. Seine Diagnose: komplette bzw. später inkomplette Querschnittlähmung ab dem oberen Bereich der Brustwirbelsäule (TH2).
Tränen der Freude
Sein Rückenmark war an zwei Stellen gequetscht. Die Hoffnung, seine Beine irgendwann wieder zu bewegen, gab Peter nicht auf. Die Ärzte sprachen von einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren. An einem Sonntagmorgen, ca. sechs Wochen nach dem verheerenden Unfall, konnte Peter plötzlich seine linken Zehen bewegen. Peter konnte sein Glück kaum fassen. Tränen der Freude kullerten über seine Wangen. Gleichzeitig regte sich die Hoffnung, wieder laufen zu können. Er motivierte sich: "In ein paar Wochen kannst du das Bein bewegen und dann kannst du bald wieder laufen". Um laufen zu können, braucht es allerdings beide Beine. Das Linke erholte sich gut, das rechte Bein liess auf sich warten... Peter Hofstetter ist ein Kämpfer. Aufgeben war keine Option, also trainierte er weiter und gab die Hoffnung nicht auf. Stets sein Ziel vor Augen, wieder laufen zu können.
Den Blick stets nach vorne gerichtet.
«Ich bin nie in ein Loch gefallen. Ich habe mir aber schon überlegt wie es ist, wenn ich weder meine Beine noch meine Arme bewegen könnte». Peter Hofstetter hat stets den Blickwinkel vom Anfang der Rehabilitation, als er im Bett lag, sich nicht bewegen und drehen konnte. Alles was danach kommt, war und ist für ihn eine Verbesserung. «Wenn ich immer vor Augen habe, dass ich tanzen, Ski fahren und wandern konnte, bringt mich das nicht weiter.» Sein Optimismus, sein Kampfgeist und sein grosser Wille zahlten sich aus. In einer Therapiestunde sagte die Therapeutin zu Peter, «so, jetzt steh auf». Peter starrte sie mit riesigen Augen an und dachte: «Was um Himmels willen will sie von mir. Aufstehen? Das kann ich nicht!». Die Therapeutin blieb hartnäckig und Peter wagte den Versuch und stand auf. Am 20. Dezember 2018 konnte er mit Krücken sogar ein paar Schritte laufen. Ein Meilenstein für den fünffachen Vater.
Ich möchte meine Schafe wieder selber melken können.
Peter Hofstetter verfolgt ein grosses Ziel. Er möchte wieder tatkräftig auf dem Hof mithelfen können. Dafür muss er 50 Meter ohne Stock laufen können, um unter anderem seine Schafe wieder selber melken zu können. Bis er soweit ist, plant er den Bau eines Melkstands bzw. eines Karussels. Peter erklärt: «Man muss sich das so vorstellen, dass ich in der Mitte stehe, meine Schafe ins Karussel steigen und zu mir drehen».
Anzutreffen ist Peter Hofstetter häufiger im Büro der Emscha GmbH, die sich seit 2017 auf den zwei untersten Etagen seines Wohnhauses befindet.
Manchmal trifft man ihn auch in der Produktion. Zielsicher fährt er im Rollstuhl durch die Gänge, zeigt die moderne Anlage und den Lagerraum mit über viertausend Käselaiben.
«Der Zusammenhalt der Familie ist viel stärker als zuvor.»
Seit 1990 ist Peter Hofstetter selbständig erwerbend. Er hat eine grosse Verantwortung gegenüber seinen Angestellten und Tieren. Nach seinem schweren Unfall fehlte er von heute auf morgen im Betrieb. Er, der «Chrampfer» und Chef vom Betrieb. Mit wässrigen Augen erzählt er mir, wie nach dem Unfall alle seine Söhne heimgekehrt sind und seine Frau unterstützt haben.
Er wollte bereits früh die Verantwortung im Betrieb seinen Söhnen übertragen. Er wusste daher, dass der Betrieb auch ohne ihn gut weiterlaufen wird. Dennoch war die Situation für seine Familie alles andere als einfach. Sie konnten aufgrund der künstlichen Beatmung wochenlang nicht mit ihm kommunizieren. Zudem war die Arbeitsbelastung einfach zu hoch, sodass der damals 26-jährige Sohn die schwere Entscheidung treffen musste, mehr als ein halbes Dutzend Tiere zu verkaufen. Dies, ohne die so wichtige Zustimmung vom Papa zu haben.
«Ich möchte etwas zurückgeben.»
Durch seinen Holzerunfall weiss Peter Hofstetter wie es ist, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Er ist tief beeindruckt, was im Schweizer Paraplegiker-Zentrum geleistet wird und konnte von der grossen Erfahrung in Nottwil profitieren. «Man kann schon danke sagen, das reicht mir aber nicht.»
Als Inhaber der Käserei «Emscha» lag es auf der Hand, eine Spendenaktion mit einem eigenen Produkt durchzuführen. Peter Hofstetter hatte daher die Idee, sein Engeli Chäsli zu verkaufen und einen Teil der Einnahmen an die Schweizer Paraplegiker-Stiftung zu spenden. Mit Coop hat er den perfekten Partner dafür gefunden.
Die Käserei «Emscha» bietet Bergbauern eine Existenzgrundlage
1999 gründeten Heidi und Peter Hofstetter Emscha. Das Ziel war, dass man Bergbauern eine Existenz bieten kann. Mit dem Bau der Käserei konnten sie die Grundlage schaffen. Nebst dem Hof der Familie Hofstetter liefern acht weitere Bauern Schafsmilch. Peter Hofstetter ist stolz, dass er seine Vision umsetzen konnte und auch kleinere Betriebe eine Chance zum Überleben haben.
In der Firma Emscha arbeiten Peter Hofstetter und seine Frau sowie zwei der fünf Söhne. Daneben sind mehrere Teilzeitangestellte sowie eine Käserin und einen Käsermeister für die Firma tätig. Total zählt die GmbH 20 Angestellte.
Emscha produziert diverse Schafmilch-Käsesorten sowie Frischprodukte. Weitere Informationen über Emscha finden Sie hier.
Werden Sie jetzt Mitglieder der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Mit Ihrer Mitgliedschaft leisten Sie einen wertvollen Beitrag zu unserem ganzheitlichen Leistungsnetz für Menschen mit Querschnittlähmung, von dem auch Peter Hofstetter profitierte. In unserer Spezialklinik in Nottwil ist alles auf Menschen mit Querschnittlähmung ausgerichtet. Hier finden Patienten von Anfang an die bestmögliche medizinische Behandlung durch anerkannte Spezialisten. Mit unserer lebenslangen Begleitung ermöglichen wir Betroffenen eine erfolgreiche Rückkehr in Familie, Beruf und Gesellschaft.
Gleichzeitig sorgen Sie als Mitglied bestmöglich für den eigenen Ernstfall vor. Im Fall einer unfallbedingten Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit erhalten Sie eine einmalige Zahlung von 250 000 Franken. Diese Auszahlung erfolgt weltweit und unabhängig von Versicherungsleistungen, Unfall- und Behandlungsort.