Serge Meylan ist der Meinung, dass eine Querschnittlähmung eine Wiedergeburt sei.

«Querschnittlähmung ist wie eine Wiedergeburt.»

Serge Meylan, der seit einem Tauchunfall gelähmt ist, liebt es immer noch, Sport zu treiben, sich körperlich anzustrengen, sich selbst zu übertreffen.

Querschnittlähmung. Ein besseres Leben als zuvor?

Wie findet man nach einem Unfall, bei dem man querschnittgelähmt wird, die Freude am Leben wieder? Serge Meylan, der seit vierzehn Jahren Rollstuhlfahrer ist, erzählt uns seine Geschichte. Eine überraschende Schweizer Studie ergab, dass viele Patienten, die sich noch in der Rehabilitation befinden, positive Veränderungen gegenüber ihrem früheren Leben festgestellt haben.

Originalartikel: Geneviève Comby / Le Matin Dimanche
Bilder: Yvain Genevay / Le Matin Dimanche | zVg

Er wiederholt, dass er gut zurechtkomme. «Aber man darf die anderen nicht vergessen, die geistig und körperlich stärker beeinträchtigt sind.» Er liebt es immer noch, Sport zu treiben, sich körperlich anzustrengen, sich selbst zu übertreffen. Im September legte Serge Meylan in sechs Tagen 2300 km mit dem Velo zurück. «Es hat drei Räder, ich lade meinen Rollstuhl hinten drauf», schmunzelt der Endvierziger, der seit einem Tauchunfall gelähmt ist. Das war im Jahr 2003.

Serge Meylan aus Le Brassus (VD) war damals 34 Jahre alt. Velofahren, Schwimmen, Bergsteigen, Laufen – nichts schien ihn aufzuhalten, bis ihn sein Atemregler unter Wasser im Stich liess. In seinem Blut bildeten sich Gasblasen, die zu einer irreversiblen Rückenmarkverletzung führten. Mit der inkompletten Tetraplegie verlor er die Beweglichkeit seiner Beine und konnte seine Arme nur noch eingeschränkt nutzen. Vierzehn Jahre später erzählt er uns, wie er aus dem Trümmerhaufen, den diese Tragödie hinterlassen hat, wieder aufgestanden ist. Er hat sein Trauma auf eigene Weise überwunden und ihm etwas Positives abgewonnen

«Eines Tages werde ich wieder laufen»

Serge Meylan wurde unmittelbar nach seinem Unfall in eine Klinik in Genf gebracht, wo er einen Monat lang zahlreichen Behandlungen in der Druckkammer unterzogen wurde. «Zu diesem Zeitpunkt war ich vollständig querschnittgelähmt. Mir war klar, dass ich nichts mehr wert war, aber zugleich sagte ich immer wieder zu meinem Arzt, dass er falsch lag und ich eines Tages wieder laufen würde.»

Doch Serge Meylan würde nicht wieder laufen können. Die Ärzte schickten ihn ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil im Kanton Luzern. «Während meiner ersten vier Monate dort fühlte ich dieselbe innere Kraft, diesen Kampfgeist, mich wieder hochzurappeln. Natürlich war das auch die Wirkung der Medikamente, die man bekommt und dank der man das Leben durch eine rosarote Brille sieht. Als die Medikamente abgesetzt wurden, habe ich wirklich beschlossen, mich wieder zu erholen, und begann an den Sportaktivitäten teilzunehmen, die mir angeboten wurden. Dabei habe ich es wohl etwas übertrieben und bekam starke Rückenschmerzen.»

Etwa sechs Monate nach seinem Unfall bot man ihm einen Skiausflug an. «Ein grossartiger Augenblick», erinnert er sich. Ich habe die Freude am Skifahren wiederentdeckt. Mir wurde klar, dass ich alles Mögliche tun konnte – zwar auf andere Weise, aber immerhin konnte ich es tun. In Bezug auf den Sport habe ich wahrscheinlich fast alle Aktivitäten ausprobiert, die für Rollstuhlfahrer möglich sind.»

Wieder zurück im Alltag

Nach seiner Entlassung aus Nottwil unternahm er lange Touren auf seinem Handbike, einem Liegevelo mit Armantrieb. Trotzdem blieb das Leben ein ständiger Kampf. «Ich hatte die geschützte Umgebung mit den breiten Korridoren und Fahrstühlen verlassen, wo Ärzte mir Mut gemacht haben, und fand mich plötzlich im Dschungel der Stadt wieder.»

Seine Ehe scheiterte, und die Zahl seiner Freunde schrumpfte. Dank der Unterstützung eines harten Kerns aus nahestehenden Personen machte Serge Meylan weiter Fortschritte. Seinen Beruf als Lokführer konnte er nicht mehr ausüben, sodass er sich dazu entschloss, nochmal bei null anzufangen. «Ich bin kontaktfreudig und mag es, Menschen um mich zu haben und mit ihnen zu diskutieren, und ich wollte unbedingt wieder ins Berufsleben einsteigen.» Er absolvierte eine vierjährige Berufslehre mit EFZ. Mit einem Diplom als Uhrmacher wurde er dann von einer in der Region ansässigen Luxusuhrenmarke eingestellt.

 

«Ich hatte das Glück, zwei Leben zu haben; eines auf zwei Beinen und eines im Rollstuhl.»

Der Wille ist stärker als der Körper

Sein Kampfgeist kam ihm zwar mit Sicherheit bei der Rehabilitation zugute, aber er spielte ihm auch Streiche. «Mein Wille ist viel stärker als mein Körper», gibt er zu. «Irgendwann versagte mein Rücken, weil ich dazu neigte, es zu übertreiben ...» In einem Zustand körperlicher Erschöpfung und unfähig, sich aus seinem Rollstuhl zu erheben, musste er erneut für zwei Monate in die Klinik. Er sah ein, dass er seinen Rhythmus anpassen musste. Dass er seinen Geist mit seinem beeinträchtigten Körper in Einklang bringen musste.

Das hat er heute geschafft. Sein Arbeitgeber erlaubt ihm, zu 35% zu arbeiten – eine Teilzeitstelle, die perfekt zu ihm passt. «Ein Glücksfall», stellt er fest und erinnert daran, dass der Alltag einer querschnittgelähmten Person alles andere als einfach ist: «Ich benötige für alle Aufgaben vier- bis fünfmal so viel Zeit. Trotzdem bin ich ein sehr aktiver Mensch.» Serge Meylan bekräftigt, zwischen Arbeit, Physiotherapie – vor allem Hippotherapie, die ihm durch das Training seiner Bauchmuskeln «ein recht gutes Körpergefühl» zurückgegeben hat – und Sportaktivitäten eine gute Balance im Leben gefunden zu haben, die «besser als zuvor» sei.

Er gibt aber zu bedenken, dass ihm einige Dinge trotzdem zu schaffen machen: der beeinträchtigte Körper, die Schmerzen, die Blicke der anderen, die eingeschränkte Zugänglichkeit, wenn man im Rollstuhl unterwegs ist, einschliesslich der grundlegendsten Orte wie öffentliche Toiletten. «Ich hatte das Glück, zwei Leben zu haben», fasst er zusammen, «eines auf zwei Beinen und eines im Rollstuhl. Es hat mich stärker gemacht. Ich lege heute mehr Optimismus an den Tag und kann kleine Probleme viel besser relativieren. Das konnte ich zwar vorher schon gut, aber jetzt noch viel besser. Querschnittlähmung ist eine Wiedergeburt, wenn wir es schaffen, wiedergeboren zu werden.»

 

Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt.

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