Eine Globetrotterin rollt durch die Welt
Auch ein Verkehrsunfall hindert Frédérique Winants nicht daran, ihrer Leidenschaft fürs Reisen nachzugehen. Mit Rollstuhl und Rucksack entdeckt sie die Welt abseits der Barrierefreiheit.
Ich mochte es schon immer, zu reisen, zu entdecken, Abenteuer zu erleben und mich verschiedenen Kulturen zu öffnen. Vor 16 Jahren liess ich die roten Backsteinhäuser meiner belgischen Heimat hinter mir, um mich hier an der waadtländischen Riviera niederzulassen. Ich komme aus einer bescheidenen Familie, zerrissen durch eine stürmische Scheidung. Als Single ohne Kinder fühlte ich mich frei wie der Wind. Auf andere zugehen fiel mir auch seit jeher leicht. Hier hatte ich mehrere Jobs am Empfang und im Service. Ich habe aber auch schon in Frankreich, England und auf Guadeloupe gearbeitet. Ich feiere ausgelassen, gehe gerne aus, treffe Freunde und geniesse das Leben in vollen Zügen.
Originalartikel: Jennifer Segui / Femina
Bilder: Corinne Sporrer / zVg
Mich wieder zurechtfinden
Am 1. August 2004 geriet alles aus den Fugen – da war ich 30. Mitten in der Nacht kollidierte mein Auto mit einem entgegenkommenden Fahrzeug in der Nähe von Mézières, bei Lausanne. Es war entsetzlich. Das hat man mir zumindest gesagt, ich kann mich nicht an den Unfall erinnern und möchte es auch nicht. Ich weiss nur, dass die andere Person in ihrem brandneuen grossen Auto fast unversehrt war, während ich mir in meiner alten Kiste alles gebrochen habe: mehrfache Brüche, die Aorta teilweise durchtrennt, was irreversible neurologische Schaden in den unteren Extremitäten verursacht hat.
Mit einem Polytrauma wurde ich ins Lausanner Unispital eingeliefert und ins künstliche Koma versetzt. Es stand nicht gut um mich und man sprach bereits von Organspende. Aber dann wachte ich auf und irgendwie wusste ich bereits, dass ich nicht mehr gehen konnte. Ich glaube, ich konnte die Leute sprechen hören, während ich im Koma lag. Nach 14 Tagen kam ich mit dem Heli für die Rehabilitation ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil.
Ich war ausser mir, ich schrie meinen Frust heraus, ich konnte meinen Zustand nicht akzeptieren, ich hasste diesen Rollstuhl. Ich war auf alles und jeden wütend, vor allem auf mich selbst. Nach und nach lernte ich, die Aufgaben des Alltags zu meistern. Eines Tages fragte mich eine Krankenschwester, was ich gerne mache. Ich antwortete: „reisen“. Sie meinte darauf, dass das nicht möglich sei. Aber da kannte sie mich schlecht. Ich liess mir ein paar Jahre Zeit, um mich in meinem neuen Leben zurechtzufinden: eine an meine Behinderung angepasste Wohnung finden, mit einem über das Lenkrad gesteuerte Auto fahren lernen, das teilweise von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung finanziert wurde, einen spannenden Job finden, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt und der meine IV-Rente aufbessert. Da ich dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen bin, wollte ich nun umso intensiver leben.
Im Winter verreisen
2010 bin ich dann sechs Wochen nach Thailand geflogen – ein Reiseziel, bei dem ich wunderbar mein Fernweh stillen und meiner Vorliebe für gutes Essen frönen kann. Meine einzige Sorge war, eine Unterkunft mit einem rollstuhlgängigen Badezimmer zu finden. Im Rollstuhl fliegen erwies sich als sehr leicht. Es ist für Rollstuhlfahrer alles organisiert. Und ich habe den Luxus, in der ersten Klasse fliegen zu dürfen. Ich sage mir, dass ich bei meinen zahlreichen Herausforderungen die Vorteile durchaus annehmen darf. Um während des Flugs nicht aufs WC gehen zu müssen, lege ich mir einen Dauerkatheter. Ansonsten gibt es meistens jemanden, der meinen Rucksack trägt, mir in den Zug oder bei einem Hindernis hilft.
Ich habe sehr kräftige Arme und kann so vieles alleine erledigen. Ich reise gerne im Winter, denn mit meinen Kreislaufproblemen komme ich mit der Kälte nicht so gut zurecht. Meine Füsse verwandeln sich dann in Eiszapfen. Ich spare das ganze Jahr für mein Flugticket und suche mir Reiseziele aus, wo der Lebensstandard tief ist, wie zum Beispiel in Asien. So gebe ich unter dem Strich weniger aus als in der Schweiz.
Ich bin nicht schwach
Vor Ort lasse ich dann eine grosse Tasche mit medizinischem Material in einer zentralen Stadt und gehe dann bei Bedarf vorbei, um Nachschub an Medikamenten, Kathetern und so weiter zu holen. Ansonsten bin ich überall unterwegs, wohne bei Einwohnern, alleine oder mit Menschen, die ich zufällig kennenlerne. Ich war schon ein paar Mal in Thailand, ich mag dieses Land und seine Bewohner wirklich sehr. Ich war aber auch schon in Myanmar, Sri Lanka und Nepal, wo ich eine Einzel-Trek-Genehmigung brauchte, um reisen zu dürfen. Das war schon ein starkes Stück.
In Kolumbien und Marokko war ich auch schon. In Letzterem habe ich in der Wüste übernachtet und bin sogar auf einem Kamel geritten. Meine letzte Reise führte mich nach Südindien und [den indischen Teilstaat] Kerala. Den Transport vor Ort zu organisieren war schwierig, aber was für ein wunderbarer Ort! Und in Indien habe ich herausgefunden, dass der erste Wagen eines Zugs meistens für Menschen mit eingeschränkter Mobilität reserviert ist. Ich bin mir auch nie schwach vorgekommen, nur weil ich im Rollstuhl sitze. Durch meine Reisen fühle ich mich lebendig. Meiner besorgten Mama sage ich dann jedes Mal, dass ich wenigstens glücklich sterben würde, sollte mir etwas passieren.
Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau der Wohnung oder des Autos. Werden Sie deshalb Mitglied der Gönner-Verenigung der Schweizere Paraplegiker-Stiftung um im Ernstfall 250 000 Franken zu erhalten.
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