«Ich habe durch den Unfall gelernt, die Kleinigkeiten im Leben zu schätzen.»
Am 20. März 2010 stürzt Samuel Kasper mit dem Snowboard unglücklich auf den Kopf und bleibt auf dem Bauch liegen. Er weiss sofort, dass sich sein Leben nun komplett ändern wird...
Es gibt bereits viele Interviews, Berichte, Zeitungsartikel und Videos von Samuel Kasper. Doch wie ist es ihm seit seinem Snowboardunfall ergangen? Was hat sich seit der Diagnose Querschnittlähmung in seinem Leben verändert? Am Telefon erzählt er, dass er bald beim vereinbarten Treffpunkt sei: «I bi grad am ufeloufe»...
Text: Renate Huber
Bilder: Beatrice Felder
Rückblende
Engelberg NW, 20. März 2010: Der 17-jährige Samuel Kasper, Freestyle-Snowboarder springt sich am Europacup ein. Beim ersten Sprung passiert es: er stürzt unglücklich auf den Kopf und bleibt auf dem Bauch liegen. Samuel weiss sofort, dass dies ein gravierender Unfall ist. Die Beine kribbeln, als ob sie eingeschlafen wären. An der Stelle des gebrochenen Brustwirbels, von dem aus später die Lähmung beginnt, bereitet sich der Schmerz immer mehr aus. Der Rega-Helikopter fliegt ihn ins Kantonsspital Luzern. Dort folgt eine Notoperation am Rücken. Der Oberarzt überbringt Samuel nach dem Aufwachen die lebensverändernde Diagnose: Querschnittlähmung. Der Traum vom Snowboardprofi zerplatzt. 24 Stunden später gelangt er mit der Ambulanz nach Nottwil in das Schweizer Paraplegiker-Zentrum, wo er nochmals operiert und gesamthaft 4.5 Monate bleiben wird.
Obwohl ihm durch seine Sportart immer bewusst war, dass er jederzeit «im Rollstuhl landen könnte», war er anfänglich sehr geschockt. Doch seine Familie und sein Umfeld standen ihm sofort zur Seite und gaben ihm den nötigen Rückhalt. Samuel Kasper war der Meinung, dass er es sicher am meisten vermissen würde, nie mehr gehen zu können. «Gehen zu können ist so ein grosses Ding.» Doch es machte ihm mehr zu schaffen, dass die Blase und der Darm nicht mehr richtig funktionieren. Heute hat er gelernt damit umzugehen und sich mit diesen «kleinen Tücken» arrangiert.
Das erste Mal im Rollstuhl
Bereits vier Tage nach seinem Unfall sass Samuel Kasper dann das erste Mal im Rollstuhl. Was war das für ein Gefühl? «Sehr komisch», erinnert er sich. «Ich wurde in den Rollstuhl gesetzt und nach kurzer Zeit brach mein Kreislauf zusammen». Nachdem er sich erholt hatte, fuhr er mit der Schmerzpumpe am Infusionsständer in die gefühlt riesige Empfangshalle. «Läck wo bini da glandet?», fragte sich der junge Berner.
Ungebremste Energie
Er gewöhnte sich rasch an den Rollstuhl und war bereits zwei Wochen nach dem Unfall in einer Bar am Sempachersee in Nottwil anzutreffen. «Ich habe mich eigentlich nie zurückgezogen oder versteckt». Er testete seinen Rollstuhl bis zu seinen Grenzen aus. So sehr, dass er bei einem Rennen auf dem Areal der Schweizer Paraplegiker-Gruppe in Nottwil aus dem Rollstuhl fiel. «Ich kam etwas schnell um die Kurve und habe zu stark gebremst. Das vordere kleine Rad blieb im Rasen stecken, und ich flog in weitem Bogen aus dem Rollstuhl. Meine Kollegen waren geschockt. Ich lag auf dem Boden und habe Tränen gelacht.». Seine Energie und sein Tatendrang waren kaum zu bremsen. Sobald es sein Gesundheitszustand zuliess, besuchte Samuel seine Eltern bei sich zu Hause. Um sich selbst etwas zu beweisen, reiste er im ersten Jahr nach der Rehabilitation für einen dreimonatigen Sprachaufenthalt nach Amerika. «Ich wollte mir meine Unabhängigkeit und Selbständigkeit beweisen – trotz Rollstuhl». Diese Erfahrung zu machen, rät er jedem Frischverletzten.
Vom Zimmermann zum Sachbearbeiter und Praxisausbilder
Die angefangene Lehre als Zimmermann konnte Samuel nicht mehr weiterführen. «Nach meinem Unfall war dies nicht mehr möglich. Es ist schwierig, mit dem Rollstuhl auf den Dächern herumzuklettern», meint der Berner schmunzelnd. Deshalb machte er nach seiner Reha ein Praktikum bei der Swisscom und absolvierte danach das Sportler-KV. Heute arbeitet er als Sachbearbeiter Einkauf und Praxisausbilder für Lernende bei der Comet AG.
«Meine Freundin beweist Mut.»
Der Gesundheit zu liebe muss der aktive Berner momentan darauf verzichten, Rollstuhlbasketball zu spielen. Aufgrund von diversen Verletzungen hat er sich dafür entschieden, nun für ein Jahr zu pausieren. «Langweilig wird mir aber trotzdem nicht», meint Samuel grinsend. Denn er wohnt mit seiner Freundin zusammen und führt seinen eigenen Haushalt. Zudem kümmert er sich um zwei junge Büsis. Dass er später mal mit einer Frau zusammenwohnen wird, war für den damals 17-jährigen Samuel Kasper kurz nach seinem Unfall nicht selbstverständlich. Gerade als junger Mensch sei es schwierig, eine Partnerin zu finden, die sich auf eine feste Beziehung einlassen möchte. Auch heute ist er noch derselben Meinung: «Es braucht Mut von einer Frau zu sagen, dass ihr Freund Rollstuhlfahrer ist. Sie muss klar dazu stehen und ihre Haltung sollte sein: entweder ihr akzeptiert es oder nicht.» Bei seiner jetzigen Freundin ist dies definitiv der Fall, denn sie hat ihn als Rollstuhlfahrer kennen- und lieben gelernt.
«Im Rollstuhl zu sein, hat auch Vorteile.»
«Rollstuhlfahrer zu sein, hat auch seine spassigen und vorteilhaften Seiten.» Am Flughafen Zürich gibt sich Samuel gerne als hilfsbedürftigen Rollstuhlfahrer, sodass er nicht in der Schlange warten muss. Oder er fährt abends direkt vor die Einfahrt des Clubs vor, steigt aus und zückt seine Sonderparkbewilligung für Rollstuhlfahrer. «Dies sind immer wieder coole Momente», sagt der Berner mit einer grossen Portion Galgenhumor.
Der positive und offene Samuel Kasper empfindet sein Leben als sehr schön und weiss es zu schätzen. «Viele Menschen sind sich nicht bewusst, was für ein tolles Leben sie haben. Sie sind gestresst und regen sich über Kleinigkeiten auf. Es wäre besser, diese Menschen würden andere Personen betrachten, denen es viel schlechter geht.» Durch den Unfall habe er gelernt, die Kleinigkeiten im Leben zu schätzen.
Auf die Frage, weshalb Samuel sagt «i loufe grad ufe», antwortet er wie selbstverständlich: «Es ist eine Redewendung. Für mich ist es normal so zu sprechen wie früher. Weshalb sollte ich dies ändern, nur weil ich jetzt Rollstuhlfahrer bin?».
Sehen Sie hier einen Ausschnitt aus dem Film «Tag für Tag» mit Samuel Kasper.
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