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Von Nottwil nach Haiti

und wieder zurück

Nach dem schweren Erdbeben im Januar 2010, hat die Schweizer Paraplegiker-Stiftung zusammen mit der Organisation «Haiti Hospital Appeal» eine Klinik mit einer Rehabilitationsabteilung für Querschnittgelähmte aufgebaut. In regelmässigen Abständen besucht ein Team des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) das Spital in Haiti, um Wissen in der Behandlung von Para- und Tetraplegiker*innen zu vermitteln.

Die 28-jährige Sara Muff, dipl. Pflegefachfrau HF im SPZ, reiste Ende Oktober 2021 für vier Wochen nach Haiti. Hier berichtet sie von ihrem aussergewöhnlichen und berührenden Arbeitsalltag, fernab von Nottwil.

Text: Renate Huber
Bilder: Sara Muff


#Part2: Die letzten Tage in Haiti und das Fazit von Sara...

«Die Arbeitsabläufe in Haiti zu verändern, ist ein Kampf»

Das Rehab-Center funktioniert momentan am stabilsten. Das Team von Sara kann sich hier vollkommen auf die Rehabilitation fokussieren. Am Morgen erfolgt die Körperpflege (meist durch die Angehörigen), es werden Verbände gewechselt und Medikamente verabreicht. Am Nachmittag stehen Therapien an. Da es momentan keinen Strom und Ventilatoren gibt, sind diese wichtigen Therapien bei 34°C reinste Tortur. An drei Tagen pro Woche ist die Ärztin vor Ort und nimmt dankbar die Inputs von Sara entgegen.
 

Da das andere Spital abgebrannt wurde, sind im Rehab-Center zusätzlich schwangere Patientinnen untergebracht. In letzter Zeit häufen sich die Frühgeburten in Haiti. Die Pflegefachfrau aus der Schweiz hat deshalb mit dem Personal in Haiti vereinbart, dass diese Frauen bereits beim Warten auf ihre Behandlung überwacht und mit Magnesium versorgt werden. Viele der Frauen leiden an Präeklampsie (hypertensive Schwangerschaftserkrankung mit Bluthochdruck in der Schwangerschaft, Eiweiss im Urin und Wasseransammlungen im Gewebe). «Mit der Verabreichung von Magnesium kann man Todesfälle verhindern», erklärt Sara. Hier in Haiti ist es sehr schwierig, festgefahrene Strukturen zu ändern. Das Personal in Haiti hat gelernt, dass sich die Patient*innen zuerst anmelden und den Papierkram erledigen müssen und erst dann beginnt die lebenswichtige Versorgung. Auch wenn 30 Frauen warten und man deutlich erkennt, wie schlecht es ihnen geht, wird streng nach Protokoll gearbeitet. «Diese Arbeitsabläufe zu verändern, ist ein rechter Kampf für mich», bemerkt die Powerfrau.

 

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Sara bespricht mit dem Team in Haiti die entsprechenden Therapien.

«'Disabled children' werden hier meist verstossen»

Sara ist überall im Einsatz. Wenn die Luzernerin auf ihren Fahrer wartet oder freie Zeit hat, spielt sie mit den Kindern im Kinderheim. «'Disabled children' werden hier meist verstossen», erklärt Sara traurig. Teilweise vermittelt der Glaube den Menschen in Haiti, dass Kinder mit einem Handicap besessen sind oder sie in einem früheren Leben etwas Böses getan haben und nun bestraft werden. Die Kinder vom Kinderheim haben deshalb kaum mehr ihre leiblichen Eltern. Die Wochenenden verbringen die Kinder bei ihren Betreuer*innen aus dem Kinderheim. «Diejenigen Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern die freien Tage verbringen, kommen oft mit blauen Flecken zurück», berichtet Sara. Umso mehr freuen sich diese Kinder, wenn Sara mit ihnen spielt und bastelt. «Die Kinder sind meine kleine Insel der Freude.»

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Sara besucht jeden Tag die Kinder im Kinderheim und spielt mit ihnen.

 «Die Arbeit in Haiti ist enorm bereichernd. Man ist jeden Tag aufs Neue gefordert und muss sich an die Gegebenheiten vor Ort anpassen.»

Sara Muff

Ein positiver Tag: Mit Luftballons zum Erfolg 🎈

Für die Atemtherapie im Rehab Center und auf der Covid-Station haben Sara und ihre Kolleg*innen Luftballons besorgt. «Durch das Aufblasen des Ballons muss gegen einen Widerstand geatmet werden. Dies verbessert die Belüftung der Lungen», erklärt Sara.

So erzielt man in Haiti mit einfachen Mitteln einen enormen Erfolg 
In ihrer ersten Woche in Haiti besuchte Sara auf der Covid-Station einen 35-jährigen Mann. Er benötigte 8l Sauerstoff und fühlte sich nicht gut. Seine Angehörigen wollten ihn bereits ihn in die USA verlegen. Die Pflegefachfrau aus der Schweiz erklärte ihm die 'Luftballon-Therapie'. Er begann täglich ca. 20× die oben erklärte Atemtherapie durchzuführen und fühlte sich von Tag zu Tag besser. Kurz darauf konnte er die Klinik in Richtung nach Hause verlassen. «Natürlich mit fünf Luftballons im Gepäck, damit er die Atemtherapie auch zu Hause weiterführen kann», schmunzelt Sara. 🎈🎈🎈

Atemtherapie mit Ballone in Haiti

Die letzten Tage in Haiti – was passiert mit dem Rehab-Center?

Endlich erhält das Spital von Sara wieder Benzin. «Dieses reicht nun für eine Woche und nimmt uns den Druck bezüglich des fehlenden Stroms», erklärt Sara. Auch die Ergotherapie wird dank dem Einsatz der Powerfrau aus der Schweiz wieder durchgeführt. «Ich habe erfahren, dass die Ergo wegen Geldmangel nicht mehr angeboten wird.» Deshalb beschaffte Sara beim Verein 'Haiti-Rehab' 100 Dollar. «Kurze Zeit später wurde Material geliefert und die Therapie wieder aufgenommen», berichtet Sara.

Sara konnte in den knapp vier Wochen in Haiti enorm viel bewirken und ist auch nach ihrer Rückkehr in die Schweiz im stetigen Austausch mit dem Pflegepersonal und der Ärztin vor Ort. Die Schweizerin hat ihr Rehabilitationswissen bezüglich Darmmassagen, Atemtherapien, Verbandstechniken, Transfermöglichkeiten usw. weitergegeben und die Menschen vor Ort entsprechend geschult. Auch ihre Covid-Erfahrung konnte sie vermitteln: «Zu Beginn wurden den Patient*innen hier auf der Covid-Station die komplette Sauerstoffmenge verabreicht», erklärt Sara. Dies sei jedoch nicht immer nötig und man müsse den sonst schon begrenzt vorhandenen Sauerstoff gezielt einsetzen. Weiter konnte die Luzernerin die Zuständigkeiten definieren. «In Haiti arbeitet man streng nach Hierarchiestufen. Deshalb ist es wichtig zu bestimmen, wer für was zuständig ist und somit das Sagen hat.» Ein weiterer persönlicher Erfolg von Sara: «Wir konnten viele neue Standards in der Behandlung einführen, welche die Patient*innen-Sicherheit stark verbessert.» 

Resümee nach der Zeit in Haiti

Für Sara ​war die Arbeit in Haiti enorm bereichernd. «Mit dem Erfahrungs-Rucksack der Schweiz muss man sich an die Gegebenheiten vor Ort anpassen und umdenken. Man ist jeden Tag aufs Neue gefordert!»

Die Ressourcen-Verteilung empfand die Schweizerin als sehr schwierig und ungerecht. In Haiti fehle es überall an Personal, Wissen, Material und finanziellen Mitteln und Möglichkeiten. «Wir mussten auf der Strasse Diesel kaufen, um im Spital Strom erzeugen zu können. Auch die Beschaffung vom lebenswichtigen Sauerstoff war ein Kampf.» Was in der Schweiz im Überfluss vorhanden ist, ist in Haiti ausserhalb der Möglichkeiten. «Umso wichtiger ist es, dass das SPZ dieses Projekt unterstützt und ich mein Wissen weitergeben kann.» Nach so einer Challenge fällt es Sara schwer, sich in der 'reichen Schweiz' neu einzuleben. «Ich versuche deshalb zu Hause eher minimalistisch zu leben und Dinge zu reparieren als sie wegzuwerfen.»

Trotz aller Umstände wäre Sara gerne noch länger in Haiti geblieben. Für die motivierte Luzernerin währt der Abschied von ihren haitianischen Kolleg*innen jedoch nicht von langer Dauer. Bereits im April 2022 wird sie wieder nach Haiti reisen und sicherlich weitere viele berührende Momente erleben und neue Handwerkstalente an sich entdecken.

 

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#Part1: Die Arbeit von Sara in Haiti beginnt...

Kurz nach der Ankunft von Sara steht ein anderes Spital in Flammen und in das Spital von Sara werden zusätzliche Patient*innen aufgenommen. Sara verbringt ihre ersten Arbeitstage auf der Covid-Station. Sie profitiert von den Erfahrungen aus der Schweiz sowie dem SPZ und entdeckt ihre Fähigkeiten als Malerin.


«Es ist für mich selbstverständlich, dass ich mein Wissen weitergebe.»

Sara Muff

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