Die 25-jährige Thunerin Chiara Schlatter konnte sich nicht vorstellen, Lehrerin zu werden. Jetzt steht die Paraplegikerin kurz vor dem Abschluss ihres Studiums – und schwärmt von einer «sinnstiftenden Tätigkeit».

Der Sinneswandel hängt auch mit ihrem Unfall zusammen: Chiara Schlatter lebt 2016 in einem Internat in Disentis mit strengen Ausgangsregeln. An einem Samstagabend im April passiert es – die Schülerin stürzt aus dem Fenster sieben Meter in die Tiefe. Beim Aufprall auf einer Treppe zieht sie sich schwere Kopfverletzungen zu, ihr Rückenmark wird ebenfalls stark beschädigt.
Dankbar, überlebt zu haben
Sie könnte tot sein, hat aber Glück im Unglück und überlebt. Auch dank Kollegen, die sofort Hilfe holen. Als sie drei Tage später realisiert, dass sie lebt, löst das intensive Emotionen in ihr aus. Sie ist unendlich dankbar, überhaupt noch da zu sein, obwohl sie ihre Beine nicht mehr spürt. «Der Tag des Aufwachens ist der bedeutendste in meinem bisherigen Leben», sagt sie. Und nimmt sich vor, die ganze verfügbare Energie in die Rehabilitation zu stecken – mit dem Ziel, die Querschnittlähmung mit möglichst hoher Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zu meistern.
Sie überwindet manches Tief, vor allem lernt sie auch, ihre Querschnittlähmung zu akzeptieren. «Ich hatte Angst, nie einen Partner zu finden, und drehte fast durch», sagte sie einmal, «aber ich realisierte mit der Zeit, dass auch eine Frau im Rollstuhl Ausstrahlung haben kann.»
«Auch eine Frau im Rollstuhl kann Ausstrahlung haben.»
Natürlich stellen sich kurz nach dem Unfall unzählige Fragen, zum Beispiel: Wie soll ihre berufliche Zukunft aussehen? Die Vorstellung, in irgendeinem Büro irgendetwas zu tun, schreckt sie ab. Ein guter Freund hat die zündende Idee: Chiara wäre doch eine sehr geeignete Lehrerin. Da sind zwar die Gedanken an ihre eigene Schulzeit, aber sie informiert sich, schreibt sich an der Pädagogischen Hochschule in Bern ein – und findet ihr Glück.

Sinnstiftende Arbeit in der Schule
Und jetzt, als Primarlehrerin, vermittelt sie Kindern von der 3. bis zur 6. Klasse Wissen. «Ich habe eine sinnstiftende Arbeit», sagt sie, «ich kann jungen Menschen etwas beibringen und finde es faszinierend zu sehen, welche Fortschritte sie machen.»
Nervenstark ist sie, Geduld besitzt sie, und sie liebt es, eine Klasse zu führen, die sich aus verschiedenen Charakteren zusammensetzt. «Schwierige» Schülerinnen und Schüler nerven sie nicht, sondern sind für sie eine Herausforderung, die sie persönlich weiterbringt. «Meine Ambition ist es, individuell auf die Kinder einzuwirken», sagt sie, «und es geht auch darum, ein angenehmes Klima zu schaffen.» Wobei sie bei allem Einfühlungsvermögen und Verständnis schon auch über ein gewisses Durchsetzungsvermögen verfügt: «Wenn es sein muss, beende ich eine Diskussion mit deutlichen Worten und mache klar, wer hier die Chefin ist.»
Dass Chiara Schlatter im Rollstuhl sitzt, mag jeweils am Anfang ein Thema sein. «Ich gehe sehr transparent damit um und erkläre, wieso ich nicht gehen kann», sagt die Thunerin, «danach ist es selbstverständlich, dass die Kinder mich unterstützen, wenn beispielsweise ein Buch im Gestell auf einer für mich unerreichbaren Höhe liegt. Die Querschnittlähmung blenden sie aus. Ich bin einfach ihre Lehrerin, der sie unaufgefordert helfen, wenn das nötig ist.»
Chiara Schlatter bewältigt den Alltag mit viel Selbstvertrauen. Und à propos Angst, wegen ihrer Beeinträchtigung nie einen Partner zu finden: Sie ist liiert. Und sagt: «Wir sind glücklich und freuen uns auf die gemeinsame Zukunft.»
«Die Stiftung und die Klinik sind einfach etwas Besonderes.»
Medienanfragen
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250 000 Franken im Ernstfall
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- Sie erhalten 250 000 Franken, wenn Sie nach einem Unfall querschnittgelähmt und dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen sind.
- Die Auszahlung erfolgt schnell und unbürokratisch.
- Die Auszahlung ist unabhängig von Versicherungsleistungen, Unfall- oder Behandlungsort.
- Eine Mitgliedschaft ist möglich für Personen mit Wohnsitz in der Schweiz wie auch im Ausland.
- 2 Millionen Mitglieder vertrauen auf die Schweizer Paraplegiker-Stiftung.
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