Die Hand als Werkzeug
Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum ist eine von wenigen Kliniken, die mit der operativen Umplatzierung von Muskeln, Sehnen und Nerven bei Menschen mit einer Tetraplegie neue Arm- und Handfunktionen ermöglichen. Der Zuwachs an Selbstständigkeit und Lebensqualität ist enorm.
Text: Kaiser Stefan
Bild: Walter Eggenberger
Der Moment im Herbst 2020 war für alle Beteiligten berührend. «Zwei Jahre lang hatte ich es immer wieder versucht, doch alles blieb steif», sagt José Di Felice. «Jetzt konnte ich plötzlich die Finger bewegen.» Es war am Tag nach der Operation seiner linken Hand. Für den 48-jährigen Unternehmer aus Leupen BE war es der Start in ein neues Leben. «Als ich die Bewegung sah wusste ich, der Entscheid für den Eingriff war richtig.» Natürlich waren da auch Schmerzen als der Verband zum ersten Mal geöffnet wurde. Doch die Wiederherstellung der Greiffunktion in der gelähmten Hand liess den Tetraplegiker emotional werden. «Ihr seid Helden», sagte er zu Silvia Schibli und Jan Fridén, die ihn operiert hatten.
Für José Di Felice folgte auf die Operation zunächst harte Arbeit. Der Aufwand hat sich gelohnt. Vor der Operation war er auf fremde Hilfe angewiesen, um seinen Alltag zu bewältigen. Heute hat der Importeur von Delikatessen einen hohen Grad an Selbstständigkeit erreicht und kann sich ganz seiner Firma widmen. Er kann mit dem Auto zu seinen Produzenten in Südeuropa fahren. Er kann Essen und Trinken, ohne zu verschütten. Er zieht Bargeld aus den Automaten oder nimmt sein Handy vom Tisch auf.
Die Tetrahandchirurgie hat sich in den letzten Jahren ständig weiterentwickelt. Immer komplexere Operationen vergrössern das Spektrum an Möglichkeiten, um betroffenen Menschen Hand-und Armfunktionen zugänglich zu machen, die sie aufgrund ihrer Rückenmarkverletzung eigentlich nicht mehr ausführen können. Der schwedische Professor Jan Fridén hat dieses Gebiet als Pionier geprägt und das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) zu einem führenden Behandlungsort gemacht. Silvia Schibli arbeitete viele Jahre mit ihm zusammen und gemeinsam führten sie neue Operationsverfahren ein. Im April 2021 übernahm Schibli Fridéns Nachfolge – als Chefärztin der Hand- und Tetrahandchirurgie in Nottwil.
Eine ungeheuer faszinierende Arbeit mit neuen Ansätzen
«Unsere Patientinnen und Patienten sind auf die Handfunktion angewiesen. Da dürfen keine Fehler passieren.» Die Chefärztin weiss, dass eine grosse Verantwortung auf ihren Schultern lastet. Die einzelnen Fälle beschäftigen sie intensiv – auch ausserhalb der Klinik. «Mich interessiert, das jeweils beste Ergebnis für die Patientinnen und Patienten», sagt sie. «Die grösste Befriedigung ist es, wenn sie sagen: ‹Jetzt kann ich dies und jenes wieder machen, und das ist mir so wichtig.›»
Fachliche Diskussionen prägen die Tetrahandchirurgie. Ideen werden weiterentwickelt, neue Ansätze erforscht und geprüft, Erfahrungen ausgetauscht. «Vieles was in Nottwil gemacht wird, kann man nicht in einem Buch lernen», sagt Silvia Schibli. Mit der Etablierung neuer Techniken wie den Nerventransfers oder der gleichzeitigen Trizepsrekonstruktion an beiden Armen führt die Chefärztin Jan Fridéns Pionierarbeit in die Zukunft. Fridén selbst bleibt dem SPZ nach seiner Pensionierung als Senior Consultant weiterhin verbunden.
«Ich bin dankbar.»
Seit José Di Felices Motoradunfall auf der Rennstrecke in Dijon sind drei Jahre vergangen. In dieser Zeit hat er sowohl die Hilflosigkeit erlebt, wenn sich Arme und Beine nicht mehr bewegen lassen, als auch den Weg zurück in ein Leben, in dem er seine linke Hand trotz Lähmung wieder für Alltagsaufgaben einsetzen kann. Gerne würde er auch seine rechte Hand operieren lassen. Doch für die nötige Rehabilitation findet der Unternehmer nach der wirtschaftlich herausfordernden Corona-Krise noch keine Zeit. Ihm ist es wichtig, dass viele Personen die Vorteile dieser Chirurgie kennenlernen, und er macht anderen Betroffenen Mut, sich darauf einzulassen. Zum Schluss sagt José Di Felice: «Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die so etwas ermöglichen. Bei Jan und Silvia merkt man, dass sie es mit Herzblut machen. Sie haben Freude, andern eine Freude zu machen – und bleiben selber so bescheiden.»
Weitere Anwendungen
Von der Tetrahandchirurgie profitieren nicht nur Querschnittgelähmte. Auch Menschen mit schweren spastischen Fehlstellungen der Arme und Hände z.B. aufgrund einer Hirnverletzung werden im SPZ operiert. Bei den Zuweisenden ist dies wenig bekannt – dabei könnten die Betroffenen nach der Operation wieder aktiver am Leben teilnehmen.
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