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Gipfelträume

Sie ist die erste Frau, die in der Schweiz das Bergführerdiplom erhält: Nicole Niquille. Ein Kieselstein schlägt sie aus dem Traumberuf und bringt sie in den Rollstuhl. Das ist fast 30 Jahre her. Im Auftrag einer Alpinistinnen-Gruppe hat die Orthotec AG einen Spezialschlitten gebaut, mit dem die Pionierin auf den Gipfel eines Viertausenders zurückgekehrt ist. 

Text: Belinda Steinmann / Andrea Neyerlin
Fotos: Florence Gross / Caroline Fink 

«Eine solche Freude habe ich Jahrzehnte nicht mehr verspürt. Das Glück des Gipfels!»

Nicole Niquille

Die Berge waren ihr Leben

Nicole Niquille war auf den höchsten Gipfeln der Welt anzutreffen. Als erste Frau erarbeitete sie sich 1986 das Diplom als Bergführerin. Sie bereitete den Weg für viele nachfolgende Alpinistinnen vor. «Mit dem Bergführerdiplom war ich im Paradies angekommen. Ich lebte meinen Traum», so die heute 66-Jährige. 

Es geschieht 1994 beim Pilzesammeln: Ein kleiner Stein aus grosser Höhe trifft Nicoles Kopf. Ihre Beine und die rechte Hand wird sie nie mehr richtig bewegen können. Ihr neues Leben im Rollstuhl beginnt. «Am Anfang konnte ich nicht mehr über die Berge sprechen, ohne zu weinen. Ich war wütend, ich war verzweifelt. Später wurde mir klar: Ich brauche neue Ziele. Ich fragte nicht mehr nach dem Warum, sondern suchte nach dem, was noch möglich war. So lernte ich auch meinen Körper wieder zu lieben.»

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Bewegungsfreiheit beginnt im Kopf

Ihr Körper ist eingeschränkt, ihr Kopf hingegen frei und stark. Mit ihrer Energie bewirkt sie, was schier unmöglich scheint. Gemeinsam mit ihrem Ehemann führt Nicole Niquille während fünfzehn Jahren ein Bergrestaurant in den Walliser Alpen. Anschliessend baut sie ein Spital in Nepal auf. Die Greyerzerin wohnt in Charmey und reist regelmässig ins südasiatische Land. Nicht nur wegen des Spitals, sie veranstaltet auch Trekkings. Wie sie das schafft? Sie bewegt sich auf dem Pferderücken fort und zählt auf helfende Hände.  

Eine Sache aber bleibt verloren. Nicole wird nie mehr eine in Schnee und Eis gekleidete Bergspitze erklimmen können. Das dachte sie zumindest viele Jahre. Bis nun ihr Gipfeltraum im Spezialschlitten wahr wurde. 

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Für Trekkings in Nepal tauscht Nicole Niquille den Rollstuhl gegen das Pferd (Foto: Zvg).

«Wir wollten ihr etwas zurückgeben. Danke sagen für ihre Inspiration, an unsere eigenen Träume zu glauben.»

Caroline George, Bergführerin und Initiantin der Breithorn-Besteigung

Mit Frauenpower zur Spitze

Am 2. Juli 2022 ist es soweit. Sechzehn Alpinistinnen aus der Schweiz und dem nahen Ausland formieren sich in Zermatt (VS) zur solidarischen Seilschaft für Nicole Niquille. In der Szene bekannte Namen wie Bergführerin Caroline George, Freeriderin Elisabeth Gerritzen oder die Präsidentin des Bergführerverbands, Rita Christen, reihen sich ein. Auch Heidi Hanselmann ist mit am Berg. Die Präsidentin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ist eine passionierte Alpinistin. Sie findet es wichtig, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung in der Gesellschaft sichtbar sind und ihre Träume leben. 

Nicole Niquille sitzt warm gekleidet in einem Spezialschlitten, den Orthotec für sie gebaut hat. Das Tochterunternehmen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ist spezialisiert auf Hilfsmittel – auch auf aussergewöhnliche Exemplare wie den Bergschlitten. In diesem ziehen und stossen die Powerfrauen Nicole Niquille über Schnee und Eis. Die Seilschaft startet auf dem Klein Matterhorn und erreicht in nur zwei Stunden den Hauptgipfel des Breithorns auf 4164 Metern. Die Bergsteigerinnen umarmen sich und freuen sich für Nicole Niquille. Die Pionierin der Bergführerinnen ist zurück auf dem Gipfel. Sie jubelt immer wieder laut. Sie geniesst den Anblick. Tränen strömen über ihre Wangen. «Eine solche Freude habe ich Jahrzehnte nicht mehr verspürt. Das Glück des Gipfels! Danke allen, die mir ihre Kräfte, ihre Zeit und ihre Fähigkeiten geschenkt haben, das wieder zu erleben.» Dieser Tag beweist: Manche Träume werden Wirklichkeit.  

  • Heidi, du warst bei der Breithorn-Besteigung dabei. Was war dein Ansporn?  

    Inklusion ist für mich persönlich und auch für uns als Organisation keine leere Worthülse, sie ist Teil unserer Mission. Als Schweizer Paraplegiker-Stiftung – und dazu gehört die Tochtergesellschaft Orthotec – konnten wir beim Breithornprojekt zur gelebten Inklusion beitragen. Beispielsweise hat Orthotec den Spezialschlitten konstruiert und hergestellt und ich habe als begeisterte Bergsteigerin meine Muskelkraft zur Verfügung gestellt. Dieses Projekt ist für mich gelebte Solidarität und Inklusion; eine Herzensangelegenheit. 

    Kannst du uns aus deiner Erfahrung als Alpinistin beschreiben, wie es ist, auf einem Berggipfel zu stehen?  

    Es verbindet mich immer eine tolle Geschichte mit den zahlreichen Gipfeln, auf denen ich bereits stehen durfte. Mal ist sie länger, mal ist sie kürzer. Ob Hundstein im Säntisgebiet, Mont Blanc, Margherita Peak im Ruwenzorigebirge, Aconcagua in den Anden, Matterhorn, Gonzen im Sarganserland oder Mythen in der Zentralschweiz, eines bleibt immer gleich: Es sind unvergessliche Glücksmomente und Ehrfurcht, die mich erfüllen. Gipfelerlebnisse sind für mich Energiequellen und Freude pur.

    Welche Eindrücke nimmst du mit von dieser besonderen Breithorn-Bergtour?

    Ich denke an Begeisterung, an Leidenschaft, an Wille und an eine unglaublich hohe Leistungsbereitschaft, die alle Frauen gezeigt haben. Es fühlt sich an wie unzählige Sternschnuppen, die ihren Glanz nie mehr verlieren werden. Wir konnten Nicole den Wunsch erfüllen, auf einen Viertausender zurückzukehren. Teamgeist, Solidarität, Muskelkraft und mentale Stärke haben das ermöglicht. Danke allen, die zum Gelingen dieses eindrücklichen Projekts beigetragen haben. Es war ein berührendes, bewegendes und unvergessliches Erlebnis, das mir unter die Haut gegangen ist. Auf dem Breithorngipfel angekommen, hatten wir wohl alle Tränen in den Augen – Tränen vor Glück. 

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    Heidi Hanselmann, Präsidentin des Stiftungsrats der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und leidenschaftliche Alpinistin. 

  • Ihr habt den Spezialschlitten entwickelt, mit dem Nicole Niquille mit ihrer Equipe das Breithorn erklommen hat. Was hat euch motiviert?

    Von Anfang an waren wir begeistert – von der Idee und vom Team. Nicole Niquille lebt vor, wofür wir uns tagtäglich bei Orthotec einsetzen: Bewegungsfreiheit. Mit unserem Fachwissen und unseren Hilfsmitteln helfen wir Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Sie sollen ihre Möglichkeiten ausschöpfen und ihre Träume leben können. Dazu gehören ganz alltägliche Dinge: sich im Rollstuhl fortbewegen, Auto fahren oder nach Gegenständen greifen. Manche Träume sind auch etwas verrückter, wie die Rückkehr auf den Gipfel eines Viertausenders nach 30 Jahren. Gut möglich, dass wir auch ein bisschen verrückt sind. Aber wenn Standardprodukte das Problem nicht lösen, muss man ausserhalb des Quadrats denken.   

    Wie kommt ihr auf eure technischen Lösungen?

    Wir stellen viele Fragen. Wir hören gut zu, machen uns Gedanken. All dies wächst zu einer Lösung heran. Die Einfälle kommen nicht nur am Arbeitsplatz. Sie erscheinen nach dem Abendessen, beim Duschen, wo auch immer. Die Ideen entstehen im Kopf und formen sich weiter beim Bauen. Wir machen Prototypen, testen sie, passen an. Bei Nicoles Schlitten haben wir beispielsweise zuerst ihre Sitzposition simuliert. Die Spur auf den Gipfel ist nur 30-40 cm breit. So wurde schnell klar, dass wir ein Snowboard als Basis nehmen. Nach den Tests kamen die abnehmbaren Skier hinzu, um in der Fläche Kraft zu sparen. 

    Was ist das Spezielle am Bergschlitten?

    Er muss leicht sein und gleichzeitig sehr stabil, weil gezogen und gestossen wird in Schnee und Eis. Der Sitz spielt eine Schlüsselrolle. Menschen mit einer Lähmung erleiden nach kurzer Zeit Druckstellen. Sie müssen optimal sitzen und auch die Sitzposition regelmässig verändern können. Wärmende Decken sind entscheidend, weil sie häufig die Körpertemperatur nicht mehr gleich regulieren können. Wir verwendeten einen Rennsitz als Basis und entwarfen einen Mechanismus, um den Schwerpunkt des Schlittens tiefzustellen und in den Steigungen anzupassen. Eine Fussbremse und verschiedene Zug- und Haltevorrichtungen sorgen für Sicherheit und Schubkraft für die Schlittenfahrerin und die Seilschaft. 

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    Nicole Niquille holt ihren Spezialschlitten für die Bergtour beim Team der Orthotec ab.

Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt.

Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau des Autos oder der Wohnung. Werden Sie deshalb Mitglied bei der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, um im Ernstfall 250 000 Franken zu erhalten.

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    • Sie erhalten 250 000 Franken, wenn Sie nach einem Unfall querschnittgelähmt und dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen sind.
    • Die Auszahlung erfolgt schnell und unbürokratisch
    • Die Auszahlung ist unabhängig von Versicherungsleistungen, Unfall- oder Behandlungsort
    • Eine Mitgliedschaft ist möglich für Personen mit Wohnsitz in der Schweiz wie auch im Ausland
    • Bereits 1.9 Millionen Mitglieder vertrauen auf die Schweizer Paraplegiker-Stiftung. 
    • Sie zeigen ihre Solidarität gegenüber querschnittgelähmten Menschen – denn es kann jeden treffen.
  • Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung ist ein gemeinnütziges Solidarwerk, welches sich für die gesamtheitliche Rehabilitation von Querschnittgelähmten einsetzt. Zusammen mit ihren Tochter- und Partnergesellschaften steht sie dafür ein, Querschnittgelähmte ein Leben lang zu begleiten. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung unterstützt das Schweizer Paraplegiker-Zentrum finanziell. Nebst Querschnittlähmung werden im Schweizer Paraplegiker-Zentrum auch Rückenverletzungen anderer Art behandelt. Bereits 1.9 Mio. Menschen in der Schweiz sind Mitglied bei der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung.

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