SIRMED Das Rettungswesen der Schweiz - 2010 bis heute

2010 bis heute - Wohin geht die Reise

Rettungsdienst in der Schweiz

Das Rettungswesen der Schweiz ist stark durch die Eigenarten des Landes charakterisiert. Dazu gehören die vier Landessprachen, der ausgeprägte Föderalismus, innerhalb dessen die Kantone für die Ausgestaltung des Rettungswesens zuständig sind, sowie die topografische Gliederung in ein dicht besiedeltes Mittelland zwischen Genfer- und Bodensee und die dünner besiedelten Gebirgsregionen von Jura und Alpen.

Struktur des Rettungsdienstes im engeren Sinne

Das Rettungswesen ist in der Schweiz im Wesentlichen regional bzw. kantonal - also kleinräumig – strukturiert. Dabei ist jedoch seit vielen Jahren ein starker Konzentrationsprozess im Gange. Während 1991 noch rund 230 Rettungsdienste tätig waren sind es heute 98. Die Zahl der Standorte ist davon kaum betroffen. Vielmehr ist die Reduktion auf Fusionsprozesse der Trägerschaften zurückzuführen. Nach wie vor sind die Rettungsdienste im internationalen Vergleich jedoch eher klein. Die Hälfte der Rettungsdienste betreibt nur einen Standort. Im Durchschnitt leisten die Rettungsdienste 5’200 Einsätze pro Jahr, wobei der Median bei 3’400 liegt. Der grösste Rettungsdienst erbrachte 2016 35'000 Einsätze, während sogenannte Ambulanzstützpunkte in dünn besiedelten Bergregionen mitunter weniger als 100 Einsätze pro Jahr absolvieren. Folgerichtig streut die Anzahl der pro Rettungsdienst betriebenen Fahrzeuge zwischen einem und 50. 
Die Trägerschaften der Rettungsdienste sind zu knapp 50 % Spitäler, zu 41 % Private und zu etwa zehn Prozent Kantone, Gemeinden oder Vereine. Insgesamt leisten die Rettungsdienste rund eine halbe Million Einsätze pro Jahr. Die hier zu Grunde gelegten Daten entstammen einer einmaligen Erhebung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan (Frey et al. 2017). 

In der Deutschschweiz besteht in 66 %, in der Westschweiz in 94 % und im Tessin in 100 % der Rettungsdienste ein Notarztsystem. Diese Daten entstammen einer Umfrage mit 68 % Rücklauf und sollen für die deutsch- und französischsprachigen Landesteile nur orientierend gelten. Von den eingesetzten Notärztinnen bzw. Notärzten verfügen knapp die Hälfte über die Qualifikation Notarzt - ein Fähigkeitsausweis für präklinische Notfallmedizin, der durch die Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR) reguliert wird. Ein Drittel der in dieser Funktion eingesetzten Personen befindet sich in der Weiterbildung zu diesem Abschluss (Müller et al. 2021).

Um das letzte Glied der Rettungskette (Wirkungsmessung) zu stärken (s.u.), ist der IVR zu Beginn des Jahres 2022 mit dem Aufbau eines nationalen Kennzahlensystems befasst, das zukünftig in der Lage sein soll, auf einer voraussichtlich jährlichen Basis die wichtigsten Struktur- und Prozesskennzahlen der Rettungsdienste und Sanitätsnotrufzentralen darzustellen. Zur Messung von Daten der Ergebnisqualität steht mit dem Schweizerischen Reanimationsregister Swissreca seit einigen Jahren ein erstes nationales Erfassungssystem zur Verfügung. Auch wenn in Swissreca lediglich reanimationsbezogenen Daten erhoben werden, so ist es doch hilfreich, dass sich unterdessen alle bodengebundenen wie auch die Luftrettungsdienste hieran beteiligen, auch wenn der Anteil der weiterversorgenden Spitäler derzeit noch ungenügend ist.

Regulation

Die meisten Kantone verfügen heute über gesetzliche Regelungen, die jedoch überwiegend nicht im Sinne eigenständiger Rettungsdienstgesetze daherkommen, sondern i.d.R. im Rahmen der allgemeinen Spitalgesetzgebung integriert und überwiegend knapp gehalten sind (Imbach 2008, Boschung 2010). Einzelne Kantone wie Zürich verfügen jedoch über detailliert ausgeführte Verordnungen.
Die Koordination der Rettungsdienste erfolgt durch den Interverband für Rettungswesen (IVR), der als Dachorganisation des medizinischen Rettungswesens fungiert. Er hat u.a. den Auftrag der Gesundheitsdirektorenkonferenz, ein System zur Qualitätssicherung der Rettungsdienste und SNZ zu betreiben und entsprechende Anerkennungsverfahren durchzuführen. 
 

Der IVR hat keine behördliche Durchsetzungsgewalt. Dadurch jedoch, dass viele Kantone die Anerkennung durch den IVR zur Voraussetzung für die rettungsdienstliche Betriebsbewilligung machen, kommt seinen Regularien de facto eine hohe Praxisbedeutung zu. So beschreiben die Anerkennungsrichtlinien u.a. die Fahrzeugbesatzungen, eine Fortbildungspflicht von jährlich 40 Stunden, Hilfsristen und die Datenerhebung wie z.B. die Teilnahme am Schweizerischen Reanimationsregister Swissreca. Heute sind rund 90 % der Rettungsdienste IVR-anerkannt (IVR 2022).

Personal und Ausbildung

Zum Personalbestand existieren nur ungefähre Zahlen. Denen zufolge waren 2016 etwa 3’700 Personen in den Rettungsdiensten beschäftigt, von denen die grösste Gruppe mit rund 2’500 Personen Dipl. Rettungssanitätskräfte sind (die etwa 1’900 Vollzeitäquivalenten entsprechen). Die dreijährige, rund 5'400 Stunden umfassende Ausbildung ist auf der Tertiärstufe an sieben sogenannten Höheren Fachschulen (HF) angesiedelt, von denen vier in der Deutschschweiz, zwei in der Westschweiz und eine im italienischsprachigen Tessin domiziliert sind.
Daneben waren rund 430 Personen als Transportsanitätskräfte tägig, einer sog. Berufsprüfung, der i.d.R. ein einjähriger Lehrgang vorausgeht (Frey et al. 2017).
Seit Beginn der 2000er Jahre hat die Bedeutung international standardisierter Kurse (v.a. ERC, AHA, NAEMT) in einer Art und Weise zugenommen, dass die rettungsdienstliche Arbeit heute zwar nach wie vor regionale Unterschiede zeigt, aber in Bezug auf grundsätzliche Strategien zunehmend ähnlicher geworden ist.
 

Die Kompetenzen von Rettungssanitätskräften sind - mit regionalen Unterschieden - denen deutscher Notfallsanitätskräfte vergleichbar wobei insbesondere in den nicht notärztlich unterstützten Systemen häufig weitergehende Kompetenzen bestehen. Insbesondere auch im Bereich der eigenständigen medikamentösen Versorgung umfassen die Kompetenzlisten meist alle wesentlichen notfallmedizinisch eingesetzten Pharmaka.

Knapp 1/3 der Rettungssanitätskräfte sind weiblich und nur 16 % sind älter als 50 Jahre. Gemessen daran, dass in den vergangenen Jahren der Frauenanteil bei den Ausbildungsabschlüssen bis zu 50 % beträgt, wird abzuwarten sein, ob dies zu einer Angleichung der Geschlechtsverteilung führt, oder ob Frauen tendenziell früher wieder aus dem Beruf ausscheiden. Verlässliche Zahlen existieren hierzu bis anhin nicht.
 

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