Toolbox Patientensicherheit
Das Thema «Patientensicherheit» ist heute so aktuell, wie eh und je. Schon seit der Antike gilt der Leitsatz «primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare», also «Erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens helfen». Und doch kommen nach Schätzungen der Stiftung Patientensicherheit Schweiz jedes Jahr rund 2000 bis 3000 betroffene Personen aufgrund vermeidbarer Fehler im Gesundheitswesen ums Leben. Deutlich mehr werden geschädigt.
Anlässlich des «Internationalen Tages der Patientensicherheit» am 17. September startet SIRMED eine Landingpage «Toolbox Patientensicherheit». Ziel ist es, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und verantwortliche Personen im Gesundheitswesen in jeweils kurzen Beiträgen an bewährte Instrumente heranzuführen. Wo möglich verweisen Links auf Quellen und weitere Informationen.
Literaturtipps
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Anlässlich der Aktionswoche Patientensicherheit posten wir jeden Tag einen Literaturtipp zum Thema. Der erste Tipp ist der Nationale Bericht zur Qualität und Patientensicherheit im schweizerischen Gesundheitswesen vom Bundesamt für Gesundheit. Der Bericht beschreibt die Situation in der Schweiz und liefert konkrete Ansätze zur Verbesserung.
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Der Beitrag von Speer, et al. beschreibt die Bedeutung von Simulationstrainings in einem grösseren Kontext. So wird nicht nur die Perspektive des Risiko- bzw. Qualitätsmanagements betrachtet, sondern auch gesundheitsokönomische Aspekte. Die Arbeit ist fundiert und berücksichtigt international beachtete Untersuchungen.
Simulationstraining als Teil des klinischen Risikomanagements | SpringerLink
Speer, T., Mühlbradt, T., Fastner, C. et al. Simulationstraining als Teil des klinischen Risikomanagements. Anaesthesist 68, 161–170 (2019).3 von 5
Die Übergabe von Patientinnen und Patienten an Schnittstellen ist ein bekannten Brennpunkt in Sachen Patientensicherheit. Der Beitrag beschreibt ein interdisziplinären Konsens dessen Empfehlungen lokal implementiert werden können.
Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme | SpringerLink
Gräff, I., Pin, M., Ehlers, P. et al. Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme. Notfall Rettungsmed (2020).4 von 5
Der Artikel zeigt eindrücklich wie mittels Simulation und Teamtraining Prozesse optimiert werden können und welchen Benefit Patientinnen und Patienten davon haben.
Reducing door-to-needle times in stroke thrombolysis to 13 min through protocol revision and simulation training: a quality improvement project in a Norwegian stroke centre | BMJ Quality & Safety
Ajmi SC, Advani R, Fjetland L, et alReducing door-to-needle times in stroke thrombolysis to 13 min through protocol revision and simulation training: a quality improvement project in a Norwegian stroke centre BMJ Quality & Safety 2019;28:939-948.5 von 5
Was braucht es wirklich, um das erneute Auftreten von unerwünschten Ereignissen zu verhindern? Schnell und einfach und ohne ernstgemeintes Engagement geht das leider nicht wie dieser Beitrag zeigt.
Checklisten
Wie verschiedene andere Instrumente im Kontext der Patientensicherheit sind auch Checklisten keine disruptive Innovation, sondern vielmehr altbewährte Hilfsmittel mit grosser Verbreitung und Akzeptanz. Da es aber auch heute noch zu Entscheidungs- und Versorgungsfehlern aufgrund unterlassenem oder unsachgemässem Checklisteneinsatz kommt, scheint es angemessen, auf den Nutzen dieser Tool hinzuweisen. Gerade Arbeiten, die im Grundsatz selbstverständlich sind, gehen in der klinischen Routine häufig unter. Checklisten können in ihrer Funktion als Erinnerungshilfen dabei helfen, nichts zu vergessen und Handlungen vollständig zu durchlaufen. Zudem können sie Prozesse definieren und dienen damit dem Aufbau gemeinsamer mentaler Modelle. Sie ermöglichen somit auch eine klar strukturierte, auf das Wesentliche konzentrierte Kommunikation im Team. Dank der Sicherung der Abläufe durch Checklisten können sich beteiligte Personen auf komplexe Aspekte einer Aufgabenstellungen konzentrieren, die spezifisches Fachwissen erfordern. Zudem schaffen Checklisten Raum, um Aufmerksamkeit auf Informationen zu richten, die eine rechtzeitige Antizipation von kritischen Ereignissen ermöglichen. Checklisten existieren für Routinehandlungen ebenso, wie für die Vorbereitung auf Zwischenfälle und unerwünschte Ereignisse.
Auch Algorithmen haben Checklistencharakter, wobei ihnen als Sonderform der Aufbau als Flussdiagram mit sequentiellen Handlungsanweisungen, konditionalen Schaltweichen und mitunter Wiederholungsschlaufen zu eigen ist.Ein typisches Beispiel ist die chirurgische Checkliste wie sie im Projekt «progress! – sichere Chirurgie» zur Anwendung kommt. Anhand dieser Checkliste werden folgende Aspekte geprüft und kommuniziert:
Vor Einleitung des Anästhesieverfahrens (= Sign In):
• Überprüfung von Identität der betroffenen Person, Eingriffsart, Eingriffsort, dokumentierter Patientenaufklärung/Patienteneinwilligung und Markierung des Eingriffsorts
• Einschätzung patientenspezifischer Risiken (Allergien, Atemweg/Aspirationsrisiko, Blutverlust)
• Überprüfung der Zuweisung zum richtigen OP- SaalVor Hautschnitt (= Team Time Out):
• Vorstellung der Teammitglieder (Teamkonstituierung)
• Überprüfung von Identität der betroffenen Person, Eingriffsart, Eingriffsort (inkl. Markierung) und Lagerung
• Überprüfung der Antibiotikaprophylaxe
• Antizipation von potentiellen kritischen EreignissenNach Operation (= Sign Out):
• Benennung der durchgeführten Eingriffe
• Bestätigung der korrekten Zählung von Instrumenten, Bauchtüchern, Tupfern, Nadeln etc.Quelle und weiterführende Informationen:
CIRS / EMRIS
Ein Critical Incident Reporting System (CIRS) dient dazu, kritische Ereignisse und Beinahe-Fehler aufzuzeigen und bewusst zu machen. CIRS hilft somit dabei, eine betriebliche Sicherheitskultur auf- und auszubauen. CIRS-Meldungen erfolgen i.d.R. anonym. Gemeldet werden können Ereignisse, bei denen die meldende Person selbst involviert war oder solche, die sie beobachtet hat. Durch die nachfolgende systematische Analyse soll das dem Ereignis zugrunde liegende Risiko erkannt und verstanden werden. Wesentlich ist dann die Ableitung der zur Risikoreduktion angemessenen Massnahmen.
Unter der Vorstellung, dass zwar ein grosser Teil aller Fehler durch Menschen gemacht wird, aber die Möglichkeit für solche Fehler systemimmanent ist, liegt der Fokus bei CIRS nicht auf der Suche nach "beschuldigten Personen", sondern darauf, fehlerbegünstigende Faktoren zu erkennen und zu reduzieren. Damit wird jedem Fehler die Chance eingeräumt, Potential zur Verbesserung zu liefern und als Basis organisationalen Lernens zu dienen.
Typische Lösungen bestehen in technischen Änderungen, Meldungen von Material- und Software-Fehlern an Hersteller, Prozessveränderungen oder speziellen Informationen an oder Schulung von Mitarbeitenden.Mit EMRIS steht ein vom Interverband für Rettungswesen (IVR) getragenes Branchen-CIRS-Meldesystem für den Rettungsdienst zur Verfügung. Kritische Ereignisse und Zwischenfälle können gemeldet, weiterverarbeitet und mit anderen teilnehmenden Organisationen geteilt werden. Im EMRIS werden ausschliesslich Ereignisse erfasst, welche im Rahmen der Arbeit des Rettungsdienstes oder in der Zusammenarbeit mit externen Partnern (SNZ 144 / Polizei / Feuerwehr / externe Spitäler, externe Notfallstationen usw.) aufgetreten sind.
EMRIS ist in den drei Landessprachen verfügbar und wird aktuell von zirka 40% der Rettungsorganisationen benutzt, welche insgesamt 43% der Schweizer Wohnbevölkerung betreuen.
Quelle und weiterführende Informationen:
Morbiditäts- und Mortalitätskonferenz
Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (M&M's) sind meist regelmässig durchgeführte, strukturierte Bespechungen von Komplikationen, ungewöhnlichen Behandlungsverläufe und unerwarteten Todesfällen. M&M's fokussieren insbesondere auf kognitive und systemische Faktoren, denn vielfach liegen Fehlern gedankliche Abkürzungen, Denkfehler, Heuristiken oder Biases zu Grunde.
Die wichtigsten Fragen, die es dabei zu beantwortet gilt, lauten:
- Wo, wann und warum funktioniert das System nicht?
- Wie können die Strukturen und Prozesse verbessert werden?
- Welche konkreten Massnahmen tragen dazu bei, die Patientensicherheit kurz- und langfristig zu verbessern?
M&M's bieten dabei Personen und Institutionen Gelegenheit für Selbstreflexion. Sie dienen der Risikosensibilisierung und vermitteln einen offenen Umgang mit Fehlern. Sie unterstützen ein gemeinsames Verständniss von (Patienten-) Sicherheit und fördern die Weiterentwicklung der organisationsinternen Sicherheitskultur.
Quelle und weiterführende Informationen:
- Aus Fehlern lernen
- Learning from Aviation - How to Increase Patient Safety in Surgery
- Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen
- Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen in der Schweiz und Niedersachsen: Wie ist der Weg zu Systemperspektive und Lernkultur?
- Systemanalyse Klinischer Zwischenfälle - Das London-Protokoll
Room of Horrors
bzw. Ambulance of HorrorsDer seit einigen Jahren so beschriebene «Room of Horrors» ist ein gleichermassen einfaches wie wirksames Instrument, um das Bewusstsein von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen für vermeidbare Fehler zu schärfen.
Im November 2019 wurde bei der SIRMED erstmal die Übertragung vom Spital auf ein rettungsdienstliches Setting getestet und beschrieben. Im Kern geht es darum, anhand gestellter Fehler und Gefährdungen im Umfeld von betroffenen Personen (Spitalzimmer oder Rettungswagen) die Beobachtungsfähigkeit, das kritische Denken und das Situationsbewusstsein hinsichtlich Patientensicherheit zu fördern. Bereits eine überschaubare Anzahl von Triggern kann zu relevanten Erkenntnissen führen. Die Aufgabe für die Mitarbeitenden besteht typischerweise darin, die gestellte Situation zu analysieren und die Gefährdungen zu erkennen und zu benennen, um sie später im realen Arbeitskontext vermeiden zu können. Als Trigger können Stolperfallen, fehlerhafte Medikamentengabe, Namensverwechslungen, Nichtbeachtung von Allergien etc. dienen. Der zeitliche und finanzielle Aufwand zur Vorbereitung einer entsprechenden Aktion bzw. Kampagne ist gering, der Effekt messbar.
Einblick in den Room of Horrors Tag am Tag der Patientensicherheit
Safety 1 / Safety 2: Lernen aus Fehlern und Erfolgen
Fehler haben in allen Bereichen der Notfall- und Rettungsmedizin das Potential, Personen und Sachen zu gefährden, Ressourcen zu vernichten und Beteiligte zu demotivieren. Fehlern bieten aber ebenso auch erhebliche Chancen dafür, konstruktiv kritische Diskussionen anzustossen, Leistungen zu optimieren, Missverständnisse aufzudecken, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zu klären und Prozesse neu- oder umzugestalten. Es geht dabei vorrangig darum, solche Grundwerte in's Bewusstsein aller Mitarbeitenden zu integrieren, und konkret in Prozessen abzubilden.
Hinsichtlich des Umgangs mit Fehlern müssen Organisationen ihre eigene Grundhaltung klären. Sie kann wie folgt lauten:
- Es gibt keine fehlerfreien Systeme.
- Aber vorhersehbare unerwünschte Ereignisse sind in den meisten Fällen vermeidbar.
- Fehlererfassung, Ursachenanalyse und Ableitung von Konsequenzen sind die Instrumente des Lernens aus Fehlern.
- Der Umgang mit Fehlern muss in der Unternehmenskultur glaubhaft und wahrnehmbar angelegt sein, um die Bereitschaft aller Beteiligten zur Mitwirkung zu fördern.
Aus Fehlern systematisch zu lernen ist in der Medizin seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend institutionalisiert. Das zentrale Augenmerk gilt bei diesem noch heute verfolgten Ansatz der Verhütung vermeidbarer Fehler, wobei davon ausgegangen wird, dass ein Teil der Ereignisse immer schicksalhaft und unvorhersehbar eintritt, ein grosser anderer Teil jedoch bei ausreichender Aufmerksamkeit vorhersehbar ist. Dieser Ansatz wird heute als «Safety 1» bezeichnet.
Erst in jüngerer Zeit werden in vielen Organisationen zunehmend auch Erfolge dokumentiert. Dies mit dem Ziel, als Quelle für Verbesserungen zu dienen. Bei der Erfassung und Auswertung von Erfolgen geht es vor allem darum, dass Personen und die Institution verstehen, warum etwas besonders gut gelaufen ist, das Ziel erreicht hat, bzw. als Erfolg bewertet werden darf. Dieses Lernen aus Erfolgen wird heute als "Safety 2" Ansatz beschrieben. Safety-2 stellt die Kompetenz eines Systems in den Vordergrund, unter veränderlichen Bedingungen Erfolge zu wiederholen.
Schlussendlich ist das alles nicht neu. Schon 1948 beschrieb Skinner für die Verhaltenspsychologie das, was seither als «positive Verstärkung» bekannt ist. Gemeint sind Ereignisse, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein bestimmtes Verhalten gezeigt wird.
Schliesslich zeigt auch der Geschwindigkeitsmesser an der Nebenstrasse im Nachbardorf schon lange nicht mehr nur das rote Gesicht mit hängendem Mundwinkel, wenn Verkehrsteilnehmende mit 40 km/h durch die 30er Zone fahren, sondern strahlt bei regelkonformem Verhalten in sattem Grün.
Safety 1 und Safety 2 ergänzen sich. Denn so, wie wir vermeidbare Fehler vermeiden wollen, so trachten wir danach, Erfolgsrezepte zu wiederholen.
Quelle und weiterführende Informationen:
Literatur
Hollnagel E. (2013) Making Health Care Resilient: From Safety-I to Safety-II, Resilient Health Care, 1 ed. Edited by Hollnagel E, Braithwaite J, Wears RL. Farnham, Surrey: Ashgate Publishing Limited; 3–17
Reinertsen J.L. (2000) Let’s talk about error, WJM 172:356
Skinner B. F. (1948) Superstition in the pigeon. In: Journal of Experimental Psychology. Princeton NJ 38.1948, 168–172
Speak up
(Speaking Up)"Speak Up" bezweckt, im Fall potentiell gefährlicher Situationen die Sicherheit von betroffenen Personen zu gewährleisten. Im Kern geht es darum, dass Teammitarbeitende unabhängig von Hierarchien und anderen einschränkenden Faktoren Fehler, Zweifel oder Ideen thematisieren können sollen, wenn eine riskante Situation oder Entwicklung für betroffene Personen und/oder das Team besteht. Solche Situationen können ganz unterschiedlichen Charakter haben, indem z.B. die Nichteinhaltung von Hygienemassnamen oder die Blockade eines Notausgangs angesprochen, eine komplexe Entscheidung hinterfragt oder bei einer unklaren Anweisung nachgefasst wird.
Speak Up ist eine Form der Kommunikation unter beteiligten Personen unterschiedlicher Professionen und Disziplinen. Dazu gehört,
- Sicherheitsbedenken zu äussern.
- Teammitarbeitende auf riskante Verhaltensweisen und Sicherheitsprobleme anzusprechen.
- Sorgen oder Zweifel zur Sicherheit einer betroffenen Person auszudrücken.
- bei Unklarheiten Fragen zu stellen.
- darauf hinzuweisen, wenn etwas nicht wie geplant läuft.
- Codewörter, Gesten und Mimik zu nutzen, um auf eine riskante Handlung oder eine sicherheitsrelevante Situation hinzuweisen.
Speak Up klingt banal. Für Organisationen in denen Kritik an vorgesetzten Personen nicht üblich ist oder persönliche Verantwortungsübernahme gering geschätzt wird, stellt die Einführung dieses Tools jedoch einen wichtigen Schritt im Wandel der Unternehmenskultur dar.
Quelle und weiterführende Informationen:
- Empowering people to help speak up about safety in primary care: Using codesign to involve patients and professionals in developing new interventions for patients with multimorbidity
- Improving patient safety: we need to reduce hierarchy and empower junior doctors to speak up
- Speak up-related climate and its association with healthcare workers’ speaking up and withholding voice behaviours: a cross-sectional survey in Switzerland
- Speak Up: Sicherheitsbedenken ansprechen
- Speaking up about patient safety concerns: the influence of safety management approaches and climate on nurses’ willingness to speak up
Ursachenanalyse (Root Cause Analysis)
In der Industrie, der Luftfahrt aber zunehmend auch in der Medizin werden Interventionen zu Gunsten der Sicherheit einer Wirksamkeitsbetrachtung unterzogen. Sie fussen auf der Idee der Ursachenanalyse (Root Cause Analysis), der zufolge das Problem möglichst bei der Wurzel gepackt werden soll.
Grundproblem ist, dass Verbesserungen im klinischen Alltag häufig auf der einfachsten, aber am wenigsten wirksamen Stufe angelegt sind, während grundsätzlichere Massnahmen meist aufwändiger, aber effektiver sind. Beispiel könnte die Anweisung sein, beim Richten von Medikamenten darauf zu achten, dass zwei ähnlich aussehende Medikamente nicht verwechselt werden. Das kann funktionieren, muss aber nicht. Ein Ersatz des einen Präparates würde das Problem hingegen bei der Ursache angehen und aus der Welt schaffen. Das ist keine Argumentation gegen Regeln oder Trainings, aber eine für die Suche nach wirksameren, also bei den Ursachen ansetzenden Verfahren.
Die Hierarchie der Effektivität skizzieren Trbovich und Shojania (2016) wie folgt:
Quelle und weiterführende Informationen
Vigilanz-Systeme
Vigilanz-Systeme (oder englisch "Vigilance" für Wachsamkeit) dienen der Überwachung von Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Heilmitteln gemeint. Heilmittel können sein, Arzneimittel, Medizinprodukte oder Blut und Blutbestandteile. Folglich unterscheidet man zwischen:
- Pharmakovigilance: Überwachung der Risiken unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Arzneimitteln
- Hämovigilance: Überwachung der Risiken im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Blut und Blutbestandteilen von der spendenden Person bis zum Empfänger
- Materiovigilance: Überwachung der Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Medizinprodukten
Grundsätzlich geht es darum, Vorkommnisse, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes von Personen oder zum Tod geführt haben, oder auch nur hätten führen können, zu sammeln und zu analysieren, um möglichst früh Risiken zu entdecken und allenfalls Massnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen.
Spitäler als Anwendende stellen mögliche Probleme oder Risiken in Form von Vorkommnissen meistens als Erste fest. Anwendende melden die Vorkommnisse der Aufsichtsstelle oder dem Hersteller, damit dieser sie analysieren kann. Sind Anwendende medizinische Fachpersonen (z.B. Gesundheitspersonal in Spitälern), dann sind sie verpflichtet, schwerwiegende Vorkommnisse auch an Swissmedic zu melden. Halten sich alle beteiligten Personen an ihre Pflichten, dann bekommt Swissmedic das gleiche Vorkommnis einmal vom Hersteller und einmal vom Spital gemeldet. Das Gesetz sieht diese Doppelspurigkeit im System absichtlich vor, um sicherzustellen, dass gemeldet wird und wenn nötig frühzeitig eingegriffen werden kann.
Quelle und weiterführende Informationen
Vier-Augen-Prinzip
Das so genannte Vier-Augen-Prinzip ist ein klassisches Instrument der Fehlerprävention und in der Buchhaltung ebenso wie in der Aviatik und industriellen Produktion anzutreffen. Es zielt darauf ab, durch eine bewusste Überprüfung kritischer Arbeits- oder Entscheidungsschritte durch mehrere beteiligte Personen die Fehleranfälligkeit durch Abhängigkeit von Einzelpersonen zu reduzieren. Das erfolgt dadurch, dass gezielt auf geteilte Verantwortung abgestützt wird. Dies ist insbesondere bei Handlungen oder Entscheidungen bedeutsam, im Rahmen derer Fehler weitreichende Konsequenzen haben können.
Das Vier-Augen-Prinzip erhöht die Aufmerksamkeit und reduziert dadurch die Gefahr von Oberflächlichkeit. Auf diese Art und Weise bedient es gezielt auch den CRM-Merksatz "Lenke Deine Aufmerksamkeit bewusst"! Eng verwandt ist das Instrument "Zweitmeinung" bzw. "Second Opinion".
Das Vier-Augen-Prinzip stellt auch eine Verbindung zum so genannten Swiss Cheese-Model von Reason und Hollnagel her. Dieses Modell geht davon aus, dass jede zusätzliche Ebenen hintereinander geschalteter Sicherungsmassnahmen die Auftretenswahrscheinlichkeit von Fehlern reduziert.
Quelle und weiterführende Informationen:
«10 für 10»
Wir starten mit einem KlassikerDer Begriff «10 für 10» steht im engeren Sinne für «10 Sekunden Aufmerksamkeit und Planung für 10 Minuten Handeln». Im weiteren und eigentlichen Sinne steht dies für ein strukturiertes und geplantes Vorgehen in komplexen Situationen. Dabei ist es häufig hilfreich, eine kurze Zeit (symbolisch 10 Sekunden) zu investieren, um Überblick zu bekommen und einen Plan zu entwerfen, der dann für eine längere Zeit (symbolisch 10 Minuten) das Handeln leitet.
«10 für 10» wurde zwar erst 2008 beschrieben aber der Volksmund kennt das Prinzip unter diversen Perspektiven seit ewigen Zeiten: «Stehe still und sammle Dich», «Mach langsam, es pressiert», «Gut geplant, ist halb gewonnen», «In der Ruhe liegt die Kraft», «Erstmal durchatmen» etc.
«10 für 10» bezweckt im Sinne der Patientensicherheit:
- Die Eigendynamik zu durchbrechen.
- Eine Situationen strukturiert zu erfassen.
- Zu planen.
- Umzuplanen.
- Eine Situation unter Kontrolle zu bekommen bzw. zu behalten.
Trigger für ein «10 für 10» können unterschiedliche sein:
- Wenn Unruhe aufkommt oder es laut wird.
- Wenn sich eine Situation verändert, bzw. Unsicherheiten oder Probleme auftauchen.
- Wenn neue, bzw. zusätzliche Informationen vorliegen.
- Wenn Teammitarbeitende Orientierung brauchen.
Die Unterbrechung wird durch Führungskräfte als «10 für 10» angekündigt. Nur lebensrettende Massnahmen laufen weiter (Thoraxkompressionen, Beatmung, etc.)
Folgende Fragen können im Fokus stehen:
- Was ist das Hauptproblem?
- Haben alle die benötigten Informationen?
- Welche Ressourcen haben wir zur Verfügung?
- Reichen diese zur Problembewältigung oder brauchen wir mehr, bzw. andere Ressourcen?
- Wie lautet der Plan? Kennen alle ihren Anteil an der Umsetzung des Plans?
- Benötigt jemand weitere Infos oder Unterstützung oder möchte noch einen Input geben oder Bedenken anmelden?
Probieren Sie es aus. «10 für 10» ist Gold wert!
Literatur
Rall M., Glavin R., Flin R. (2008). The ‘10-seconds-for-10-minutes principle’ - Why things go wrong and stopping them getting worse. Bulletin of The Royal College of Anaesthetists – Special human factors issue (51), 2614–2616
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