«Deine Gedanken formen deine Welt»
Simon Hitzinger, «Hitzi», konnte während der Rehabilitation sein Denken fundamental ändern.
Simon Hitzinger, «Hitzi», ist seit einem Sturz querschnittgelähmt. Ein Leben im Rollstuhl konnte er sich zunächst nicht vorstellen. Heute fühlt er sich glücklich und frei. Wie konnte Hitzi während der Rehabilitation sein Denken fundamental ändern?
Text: Tamara Reinhard
Bilder: Simon Hitzinger / Lucian Hunziker
Das lasen Sie in der letzten Hitzi-Story:
Am 1. Mai 2011 nimmt Simon Hitzinger an der letzten Party vor dem Abriss des alten Basler Kinderspitals teil. Als er auf dem Balkongeländer des 2. Stocks sitzt, lehnt er sich gegen ein Banner. Doch dieser reisst und er stürzt 12 Meter in die Tiefe. Durch den Aufprall brechen fünf Rückenwirbel, einer zersplittert. «Ein Knochensplitter drückte sich ins Rückenmark, der mich zum Querschnittgelähmten macht.» Die Schilderung seines Unfalls lesen Sie in: Hitzi-Story: Teil 1.»
Zwei Wochen später
Knapp am Tod vorbei, befindet sich Simon noch für zwei Wochen nach dem Unfall im kritischen Zustand. Als klar wurde, dass er überlebt, wird er ins Rehab Basel auf die Überwachungsstation verlegt. Er ist querschnittgelähmt. Sein Rückenmark ist gequetscht, aber nicht durchtrennt. Somit besteht die theoretische Möglichkeit, dass er eines Tages wieder laufen könnte.
Diese Information reicht ihm: «Ah, voll easy, dann laufe ich in zwei Wochen wieder.» Doch die Einschätzung der Ärzte lautet anders: «Stellen Sie sich auf ein Leben im Rollstuhl ein.» Simon beginnt die Reha mit der festen Überzeugung, dass er diese als Fussgänger verlassen würde. Er ist seit sechs Jahren im Rollstuhl.
Im pinken Rollstuhl
11.00 Uhr, an einem regnerischen Maitag. Ich treffe mich mit Simon, «Hitzi», im Restaurant RED im KKL Luzern. Er erscheint mit pinkem Schal, passend zum pinken Rollstuhl. Er ist in guter Laune: Während er Kaffee bestellt, die Fotokamera vom Schoss auf den Tisch legt, reisst er auch schon den ersten Witz. Kennt er schlechte Tage? «Nein.» Hitzi knipst ein Bild von der Theke. «Mir geht es gut. Und wenn nicht, hält das nur für ein paar Stunden an.» Was ist wohl mit diesem jungen Mann passiert, der die Reha ohne Rollstuhl verlassen wollte?
Hitzi beginnt die Reha. Die Ziele lauten, sich nach sieben Monaten wieder alleine anziehen zu können und selbstständig zu leben. Die Rehabilitation unterstützt ihn dabei, seine körperliche Selbstständigkeit wiederzuerlangen. Doch wie steht es um seine Psyche? «Am Nullpunkt.» Trotz Reha, fragt sich Hitzi anfangs, ob er überhaupt ein Leben als Querschnittgelähmter führen will. Negative Gedanken kreisen ihm im Kopf. Obwohl seine Familie und Freunde ihn als denselben sehen, hadert er zunächst mit der Paraplegie.
Der Wendepunkt
Langsam tastet er sich an das Leben eines Querschnittgelähmten heran. Dabei fängt Hitzi an, seine negativen Gedanken zu hinterfragen. Ihm wird bewusst, dass er allein die Macht besitzt, sein Leben als lebenswert anzusehen. Das war sein persönlicher Wendepunkt: «Von da an, ging es aufwärts.» Ich schaue Hitzi an: Ist das alles? «Nein. Aber ab dann, gab es kein Zurück mehr. Mir war klar: Ich will leben.»
Buddhismus als neues Gedankengut
Sein Ziel ist: Das Leben täglich als lebenswert zu empfinden und nie mehr die Frage nach dem Tod zu stellen. Noch während der Reha liest er ein Buch über den Buddhismus. Hitzi fängt an zu meditieren und lernt, in sich hineinzuhören. Dabei realisiert er, wie sehr wir Menschen Sklaven unserer Gedanken sind. «Du selbst entscheidest, ob du negative Gedanken annimmst oder nicht.»
Aber, was hat er nun gedacht, als er die Reha eben doch auf Rädern verliess? «Ich stand vor der Entscheidung, ob ich jetzt enttäuscht darüber bin oder nicht.» Hitzi schaut mich bestimmt an: «Wenn es mir jetzt schlecht geht, dass ich noch nicht laufe, dann bin ich selbst schuld daran. Warum? Weil einzig und allein ich mir das eingeredet habe, dass ich es in dieser kurzen Zeit schaffen muss.»
Es herrscht Stille zwischen uns. Hitzi knipst weiter Bilder. Allmählich ergibt der pinke Rollstuhl zunehmend Sinn für mich. Schon vor dem Unfall waren seine Lieblingsfarben Magenta, Cyan und Gelb. Er wirkt so ausgelassen. Als er die Reha verliess, hat er nicht mehr mit sich gehadert. Seine gefundene Lebensfreude wiederspiegelt sich in der Farbe des Rollstuhls.
Den eigenen Sinn finden
Ob Hitzi daran glaubt, dass der Unfall ein Zufall war? «Wenn ich denke: ‹Tja, dann hat es halt mich getroffen›, erscheint mein Unfall völlig sinnlos.» Er rückt seinen Schal zurecht und trinkt den Kaffee aus. «Ich glaube, mir ist der Unfall passiert, damit ich die Möglichkeit habe, etwas daraus zu machen.»
Hitzi möchte sich als Botschafter für Rollstuhlfahrer einsetzen. Öffentliche Einrichtungen sollten schon bei der Bauplanung rollstuhlgängig angedacht werden. Trams, die zwar rollstuhlgängig sind, halten an zu niedrigen Bahnsteigen. Rollstuhlfahrer müssen sich mindestens eine Stunde vorab beim SBB Call-Center anmelden, wenn sie Hilfestellung beim Einsteigen eines Zuges benötigen.
Auch gibt er Fussgängern Hoffnung. Viele Leute bedauern ihn, dass er ihm Rollstuhl sitzt. Das sieht er anders. Hitzi ist noch immer derselbe. Er will Verständnis schaffen zwischen Fussgängern und Rollstuhlfahrern. «Wir sind alle nur Menschen.» Hitzi fühlt sich nicht eingeengt als Rollstuhlfahrer. Er ist glücklich und frei.
#Hitzigram
Hitzi erzählt aus seinem Leben im Rollstuhl. Entdecke die 5-teilige Serie in Zusammenarbeit mit Simon Hitzinger.
Portrait über Hitzi
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Traurig, aber wahr: Jeden zweiten Tag wird ein Mensch in der Schweiz querschnittgelähmt. Eine Querschnittlähmung führt zu hohen Folgekosten, z.B. für den Umbau der Wohnung oder des Autos. Damit Betroffene nicht zusätzlich von Geldsorgen geplagt werden, erhalten Mitglieder bei einer unfallbedingten Querschnittlähmung mit permanenter Rollstuhlabhängigkeit eine einmalige Zahlung von CHF 250 000.–.