Rehabilitation
Menschen mit Querschnittlähmung haben besondere Bedürfnisse was Gesundheitsversorgung angeht. Sind diese Bedürfnisse angemessen in der Akutversorgung, Rehabilitation und Postakutversorgung berücksichtigt, lassen sich Komplikationen im Zusammenhang mit Querschnittlähmung minimieren.
Wichtige Faktoren der Rehabilitation
Akutversorgung
Bei der Akutversorgung geht es darum, die Betroffenen vor und bei der Krankenhauseinlieferung optimal zu versorgen. Wenn möglich, innerhalb der ersten 24 Stunden. Versorgen Rettungshelfer eine Person mit einer Rückenverletzung schon an der Unfallstelle fachgerecht, bildet dies die Basis für eine erfolgreiche Rehabilitation. Bleibt dies aus, kann es die Folgen für eine verletzte Person massgeblich beeinflussen.
Schon an der Unfallstelle gilt es die Vitalparameter zu stabilisieren und die Wirbelsäule ruhig zu stellen. Damit bleiben die neurologischen Funktionen erhalten, bis die Langzeitstabilisierung vorgenommen werden kann. Ebenso ist es notwendig, Blutungen, Körpertemperatur und Schmerzen zu kontrollieren.
Personen, die eine Querschnittlähmung erlitten haben, sollten innerhalb von zwei Stunden, nachdem die Verletzung erfolgt ist, in ein Spital eintreten. Eine akkurate Diagnose von Querschnittlähmung und sämtlichen damit einhergehenden Verletzungen (z. B. traumatische Hirnverletzung, gebrochene Gliedmassen, Verletzungen des Brust- oder Bauchraumes, Wunden und penetrierende Verletzungen) ist unerlässlich. Nur so können Patienten angemessen medizinisch versorgt und rehabilitiert werden. Zuerst wichtig ist:
- Überlebenschance maximieren: lebensbedrohliche Verletzungen priorisieren und behandeln.
- Beeinträchtigungen minimieren: Verletzungen, die zu Behinderungen führen können behandeln.
- Schmerzen und psychologische Leiden lindern.
Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) sollte folgende Anzeichen und Symptome klären:
- Schwäche, Defizite in den sensorischen und motorischen Funktionen
- Funktionsstörung von Darm und Blase
- Deformation der anatomischen Strukturen
- Lokal begrenzte Schmerzempfindlichkeit
Dazu lassen sich neurologische (motorische und sensorische) Untersuchungen, radiologische bildgebende Verfahren, d.h. Röntgen, Computertomographie und/oder Kernspintomographie sowie Labortests, z. B. Blut, Mikrobiologie anwenden.
Massnahmen
Konservative und/oder operative Eingriffe sind notwendig, wenn die Wirbelsäule instabil ist. Und auch, wenn eine dauerhafte Kompression des Rückenmarks vorliegt. Vielerlei Faktoren sind bei der Bestimmung des am besten geeigneten Ansatzes in Betracht zu ziehen. Etwa:
- Schwere der Verletzung
- Art des Bruchs
- Instabilitätsgrad
- Vorhandensein neuraler Kompressionen
Konservative Behandlungen
Diese beinhalten Massnahmen, die Wirbelsäule zu fixieren und um zu verhindern, dass sie sich weiter verschiebt. Beispielsweise durch:
- Bettruhe
- Traktion der Wirbelsäule (Entlastung der Wirbelsäule durch dosiertes Strecken)
- Tragen einer Orthese (z. B. eine Halo-Weste), um die Wirbelsäule zu fixieren. Dies ist normalerweise über einen Zeitraum von sechs Wochen oder länger nötig. ((Bild Halo))
Chirurgischer Eingriffe
Chirurgische Eingriffe sollen die Wirbelsäule entlasten:
- In dem die Chirurgen gebrochene Fragmente, die Druck auf die Nervenstrukturen ausüben, entfernen, vermindern oder verschieben.
- In dem die Chirurgen die Wirbelsäule mit Implantaten und Knochentransplantationen stabilisieren.
Akutversorgung bei krankheitsbedingter Querschnittlähmung
Ähnlich wie bei einer unfallbedingten Querschnittlähmung, aber mit einigen Abweichungen aufgrund der Ursache. Beispielsweise:
- Degenerative Erkrankungen, wenn diese den Spinalkanal massiv beeinträchtigen.
- Spinale Tumore, die häufig mit Bestrahlung und Chemotherapie behandelt werden.
- Die Blutgefässe der Wirbelsäule betreffende Erkrankungen, mit Ausnahme von Infarkten.
- Eine durch Infektionskrankheiten verursachte nicht-traumatische Querschnittlähmung kann ebenfalls eine Operation erforderlich machen. Normalerweise ist jedoch eine sofortige medikamentöse Behandlung mit Antibiotika, antiviralen Mitteln oder Antiparasitika notwendig.
Post-akute medizinische Versorgung und Rehabilitation
Diese Phase bezweckt, eine maximale Funktionsfähigkeit der Betroffenen zu erreichen. Sodass diese so unabhängig wie möglich leben können. Eine angemessene medizinische Versorgung und Rehabilitation verhindert Komplikationen im Zusammenhang mit Querschnittlähmung.
Definition von Rehabilitation
«Eine Reihe von Massnahmen die Betroffene dabei unterstützen, eine optimale Funktionsfähigkeit bei der Interaktion mit deren Umwelt zu erlangen und zu erhalten».
Schon in der Akutphase sollte bei Querschnittgelähmten mit der Rehabilitation begonnen werden. Aber auch danach lässt sich damit die Funktionsfähigkeit weiterhin fördern. Die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit so gut es geht wiederherzustellen, hat für Querschnittgelähmte hohe Priorität:
- Für Tetraplegiker etwa, dass sie Funktionsfähigkeit in den oberen Gliedmassen erlangen.
- Für Paraplegiker, dass sie Sexualfunktionen wiedererlangen.
- Die Wiederherstellung der Blasen- und Darmfunktion ist für beide Gruppen wichtig.
Insbesondere gilt es, das Management der Blase und des Darmes, der Sexualfunktionen sowie den Umgang mit Hilfsmitteln zu erlernen.
Management von Schwierigkeiten in Bezug auf Funktionsfähigkeit
In der Rehabilitation lernen querschnittgelähmte Menschen, wie sich Einschränkungen überwinden lassen. Beispielsweise durch:
- Verbesserung der Funktionsfähigkeit von Rumpf und Gliedmassen
- Individuelle Gestaltung des Umfeldes
- Bereitstellung von Hilfsmitteln
- Unterstützende Technologien
So werden während der Rehabilitation funktionale Ziele zu Mobilität, Selbstversorgung und häuslichen Aktivitäten in den verschiedenen Lähmungshöhen angestrebt. Beispielsweise:
- Ein Betroffener mit Lähmungshöhe C1-4 ist beim Ankleiden der unteren Gliedmassen auf Hilfe von Dritten angewiesen.
- Jemand mit einer Lähmungshöhe C8-Th1 kann dies gewöhnlich selbstständig oder mit unterstützenden Technologien tun.
Rehabilitationsmassnahmen
Zudem gibt es eine Reihe von Massnahmen, um die Funktionsfähigkeit zu verbessern oder deren Verlust zu kompensieren. Beispielsweise:
- Übungen um Muskelkraft und Funktionen in den oberen Gliedmassen zu verbessern.
- Passive und aktive Übungen zur Dehnung, Beweglichkeit und Stärkung der unteren Gliedmassen.
- Elektrische Stimulation von Muskeln sowie verschiedene Formen von Gehtraining mit Hilfe von unterstützenden Technologien wie Orthesen, Krücken, Rollatoren und Parallelbarren.
Vorteile der Übungen sind:
- Muskelstärke und Ausdauer
- Weniger spastische Lähmungen
- Gelenke sind beweglicher
- Weniger Schmerzen
- Weniger Herz-Kreislauf-Krankheiten
Massnahmen, um ein Umfeld des Betroffenen individuell zu gestalten, können sein:
- Sportmöglichkeiten neu zu erlernen.
- Sich neue Ankleidemethoden anzueignen, indem der Betroffene Restmuskelfunktionen verwendet.
- Essen mit Hilfe von angepasstem Besteck, um Selbstständigkeit zu ermöglichen.
Abwägung von chirurgischen Eingriffen:
- Wenn keine weiteren neurologischen oder funktionalen Verbesserungen in den oberen Gliedmassen mehr zu erwarten sind, kann eine Rekonstruktion eine Möglichkeit darstellen. Dies gilt jedoch nicht für alle Menschen mit Querschnittlähmung.
- Ellenbogen- oder Handgelenk-Streckung, das Greifen mit der Hand oder den Fingern lässt sich verbessern, wenn eine oder mehreren Muskeln oder Sehnen verpflanzt werden.
Unterstützende Technologien
Sobald eine Person eine Querschnittlähmung erlitten hat, bedarf sie normalerweise unterstützender Technologie. Beispielsweise ein Rollstuhl, Gehhilfen, Computertechnologien etc. Dies ist während der gesamten Lebensdauer des Betroffenen notwendig.
- Die Art der unterstützenden Technologie hängt ab vom Grad der Querschnittlähmung und den damit verbundenen Beeinträchtigungen, Umweltfaktoren sowie personenbezogenen Faktoren (z. B. Alter, Fitness, Lebensweise) etc.
- Verändern sich die Lebensumstände oder die Gesundheit, sind ev. andere unterstützende Technologien notwendig. Beispielsweise benötigt jemand einen Elektrorollstuhl anstatt eines manuellen Rollstuhls.
- Unterstützende Technologien fördern die Teilhabe am gemeinschaftlichen und beruflichen Leben.
- Betroffene können wieder ins Berufsleben einsteigen.
- Die Betroffenen sind unabhängig, zufriedener und haben mehr Selbstwertgefühl.
Arten von unterstützender Technologie
- Orthesen
- Gehilfen, Rollatoren und Stöcke
- Rollstühle
- Transferhilfen
- Umgebaute Autos mit entsprechender Handsteuerung
- Kommunikationsgeräte wie elektronische Sprachausgabe
- Umweltkontrollsysteme, Fernbedienungen und Schalter, die durch Kinn oder Atmung aktiviert werden können
- Computertechnologien wie Joysticks, erweiterte Tastaturen, Blickeingabesysteme etc.
- Badestühle
- Anziehhilfen
- Besteck mit speziellen Griffen
Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ)
Das SPZ verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz in der Rehabilitation. Ein ganzes Team von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen arbeitet zusammen. Im Mittelpunkt stehen die Patient*innen, welche in die Behandlung und die Entscheidungen miteinbezogen werden. Dieses Zusammenspiel ermöglicht eine erfolgreiche Rehabilitation.
Ablauf der ganzheitlichen Rehabilitation
Die Rehabilitation eines querschnittgelähmten Menschen verläuft je nach Ausmass der Rückenmarksverletzung und individuellem Verlauf unterschiedlich. Je nachdem, welche Voraussetzungen die Patient*innen mitbringen, sind die Fortschritte unterschiedlich. So hat eine Person mit einer hohen Tetraplegie andere Ziele als eine Person mit einer Paraplegie. Ziel der Rehabilitation ist es, die individuellen Möglichkeiten optimal auszuschöpfen.
Die Rehabilitation ist in vier Phasen unterteilbar, diese gehen fliessend ineinander über. Fixpunkt ist das Erreichen grösstmöglicher Selbstständigkeit. Die Ziele werden zusammen mit den Patienten laufend an deren Möglichkeiten und Voraussetzungen angepasst.
Die Akutphase
Die Akutphase ist die Zeit der Erstbehandlung nachdem die Lähmung eingetreten ist. Betroffene verbringen eventuell einige Zeit auf der Intensivstation. Es gilt, eine optimale Basis für die weitere Rehabilitation zu schaffen. Folgendes steht im Vordergrund:
- Die richtige Diagnose zu stellen.
- Die Verletzung des Patienten zu behandeln.
- Die lebenswichtigen Funktionen wie Kreislauf und Atmung zu stabilisieren.
- Die Blasen- und Darmentleerung sicherzustellen.
Die Aufbauphase
Die Patienten werden mobiler und damit selbstständiger in den alltäglichen Aktivitäten. Sie lernen den Umgang mit ihrem gelähmten Körper kennen. Ebenso übernehmen sie zunehmend Verantwortung für bestimmte Bereiche wie Blasen- und Darmmanagement, Ernährung und Hautkontrolle. Schon während dieser Phase beginnen die Vorbereitungen für einen Austritt nach Hause in das soziale und berufliche Umfeld. Zum Beispiel durch Berufsberatung von ParaWork, Schulungen von Angehörigen oder Abklärungen zu eventuellen baulichen Massnahmen. Je nach Voraussetzung sind schon erste Wochenendurlaube zu Hause möglich.
Die Konsolidierungsphase
Im Hinblick auf den Austritt übernehmen die Betroffenen ihren Möglichkeiten entsprechend die volle Eigenverantwortung. Die Pflegenden und die Therapeuten setzen zunehmend auf die Selbstbestimmung. Bei Komplikationen oder Problemen steht jederzeit ein kompetentes Rehabilitationsteam beratend zur Verfügung.
Die Austrittsphase
Die Patienten können ein ihrer Lähmung entsprechendes, selbstständiges Leben führen. Die stationäre Behandlung kommt in dieser Phase zu einem Ende. Letzte Vorbereitungen für den Austritt werden in allen Fachbereichen umgesetzt. Die Nachsorge durch Hausarzt oder ambulante Therapien sind organisiert.
Die Aufenthaltsdauer im SPZ ist je nach Diagnose und Voraussetzungen verschieden lang. Die durchschnittliche Reha-Dauer von Patient*innen mit einer Paraplegie beträgt vier Monate; jene von Patientinnen und Patienten mit einer Tetraplegie sieben bis neun Monate. Komplikationen wie Druckgeschwüre (Decubitus, Atemlähmung und Blasen- oder Niereninfekte) verlängern die Hospitalisationszeit.
Herausforderung Alltag
Ausserhalb des gewohnten Umfeldes stossen Querschnittgelähmte zwangsläufig an Grenzen.Beispielsweise beim Einkaufen, beim Reisen oder Suchen einer Toilette. Die in der Rehabilitation erlernte Routine sowie Offenheit zum Ausprobieren, helfen im Umgang mit neuen Situationen. Eine ganzheitliche Rehabilitation wie im Paraplegiker-Zentrum Nottwil bietet Möglichkeiten, den Alltag zu trainieren. So absolvieren die SPZ-Patienten sicher einmal während ihrer Rehabilitation ein Stadttraining in Luzern. Dort lernen sie etwa das Fahren im Zug, auf Kopfsteinpflaster oder auf unebenen Trottoirs. Sie verfolgen auch individuelle Ziele, wie etwa einkaufen und bezahlen in einem Geschäft oder wo sich behindertengerechte Toiletten befinden.
Betroffenen stehen auch Bildungsangeboten von Para Know-how zur Verfügung. Damit bietet das SPZ eine Palette an Kursen zu Themen wie Blase, Naturheilkräfte, Sexualität oder für Angehörige von Querschnittgelähmten etc. an. Die Kurse sind immer durch interne oder externe Fachexperten begleitet.
Die SPS und ihre Tochtergesellschaften unterstützen in unterschiedlichen Bereichen
Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum als Akut- und Rehabilitationsklinik verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz der Rehabilitation und lebenslangen Versorgung von Betroffenen. In der Spezialklinik finden sie Zugang zu Gesundheitsversorgung, Lebensberatung, Hilfsmittelangeboten, Technologien sowie Unterstützung für Härtefälle unter einem Dach.
Beispiele
Das SPZ bietet eine frauenärztliche Sprechstunde in einem speziell eingerichteten gynäkologischen Untersuchungszimmer an. Dies erleichtert querschnittgelähmten Frauen den Zugang zu Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen. In normalen Arztpraxen ist dies oft nicht der Fall.
Ebenfalls steht den Patienten ein EOS-Ganzkörper-Röntgengerät zur Verfügung. Eine Spezialanfertigung ermöglicht es, Menschen mit Querschnittlähmungen einfacher zu röntgen.
Zudem stehen den Querschnittgelähmten Dienstleistungen von Schwesterorganisationen zur Verfügung:
- Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung übernimmt ungedeckte Pflegekosten in Härtefällen oder leistet finanzielle Beiträge an Hilfsmittel, Fahrzeug- oder Wohnungsumbauten.
- Die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung unterstützt als Dachorganisation der Schweizer Rollstuhlclubs Betroffene mit Rechts-, Lebensberatung, Freizeit- und Sportangeboten. Ebenso helfen Fachleute vom Zentrum für behindertengerechtes Bauen wenn Umbauten nötig sind.
- ParaHelp unterstützt Fachpersonen und pflegende Angehörige bei der Gesundheitsvorsorge und Wundprävention zu Hause.
- Orthotec bietet Betroffenen Zugang zu Inkontinenzmaterial, Hilfsmitteln, Rollstuhltechnik und Fahrzeugumbauten.
- Die Schweizer Paraplegiker-Forschung und die Angewandte Klinische Forschung im SPZ leisten mit ihren Studien einen wichtigen Beitrag dazu, Menschen mit Querschnittlähmung besser medizinisch zu versorgen und deren Lebensqualität zu verbessern.
Tauchen Sie in weitere Wissenswelten ein
Quellen
Schweizer Paraplegiker-Zentrum (Hrsg.). (2017). Leben mit einer Querschnittlähmung: Kap. 2. (1. Auflage). Nottwil: Schweizer Paraplegiker-Zentrum.
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