«Wir können vieles möglich machen»
Stefan Baumann leitet den Bereich Fahrzeugumbau auf dem Campus Nottwil. Mit seinem Team verhilft er auch hochgelähmten Menschen zu einem bedeutenden Stück Bewegungsfreiheit.
Text: Peter Birrer
Fotos: Sabrina Kohler
Das umgebaute Auto ist eine der wichtigsten Alltagshilfen für Menschen mit Querschnittlähmung und ähnlichen Beeinträchtigungen. Es macht unabhängig von fremder Hilfe und verschafft Bewegungsfreiheit. Bei Orthotec, einer Tochterfirma der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, werden die Fahrzeuge in Nottwil LU und in Cugy VD auf die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst.
Stefan Baumann, was bedeutet es für einen Menschen mit Querschnittlähmung, wieder Auto fahren zu können?
Es bedeutet Freiheit, Lebensqualität, Unabhängigkeit und Flexibilität. Das Autofahren eröffnet beruflich und privat neue Perspektiven. Je nach Wohnsituation kann man dank des Autos wieder vermehrt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Wenn unternehmungslustige Menschen ihre eigenen vier Wände kaum mehr verlassen können, schlägt das aufs Gemüt. Für die Betroffenen ist es oft von zentraler Bedeutung, wieder selbst Auto fahren zu können. Es ist für sie vielleicht sogar noch wichtiger als für uns Fussgängerinnen und Fussgänger.
Weil damit das Gefühl von Selbstständigkeit verbunden ist?
Dieses Gefühl bekommen sie bei allen Tätigkeiten, die sie trotz körperlicher Einschränkungen wieder ohne fremde Hilfe machen können. Wenn man mit einer Querschnittlähmung konfrontiert ist, stürzt plötzlich eine grosse Menge an Themen auf einen herein. Nach einer gewissen Rehabilitationszeit wird oft das Autofahren wieder aktuell. Wir klären detailliert ab, was es dazu alles braucht, und definieren gemeinsam das Ausmass des Umbaus. Die Betroffenen realisieren: Es gibt eine Chance, nicht mehr ständig auf andere angewiesen zu sein und selbstständiger leben zu können. Das löst Erleichterung aus.
Können Sie die Betroffenen auch überraschen?
Das kommt immer wieder vor, weil praktisch niemand die komplexen Umbauten kennt, die heute selbst für hochgelähmte Personen möglich sind. Je besser die Arm- und Handfunktionen, desto breiter ist die Palette an Umbauoptionen. Es kommt auch vor, dass Personen bei der ersten Abklärung nicht mehr fahren können, zwei, drei Monate später aber schon. Dank intensiver Therapien haben sie in der Zwischenzeit gelernt, die noch vorhandenen Funktionen optimal zu nutzen. Wir haben den Vorteil, dass wir ergonomische Fragen direkt mit den Fachleuten im Schweizer Paraplegiker-Zentrum abklären können.
Staunen Sie manchmal, wozu Ihre Kundinnen und Kunden fähig sind?
Ich staune über alle Menschen mit einer Beeinträchtigung, die es schaffen, wieder selbstständig ein Fahrzeug zu lenken. Insbesondere über hochgelähmte Personen, die ihr Ziel mit grosser Beharrlichkeit verfolgen. Und irgendwann sind sie mit einem angepassten System bei hoher Verkehrsdichte unterwegs, als hätten sie nie etwas anderes gemacht.
Was ist für Sie aussergewöhnlich?
Ein Kunde hatte den Wunsch, mit einem Lift und ohne Rollstuhl ins Auto gehievt zu werden – direkt auf den Fahrersitz. Solche Spezialanfertigungen, die es nicht auf dem Markt gibt, sind mit grösserem Aufwand verbunden.
Und wohl höheren Kosten. Gibt es Grenzen, was den finanziellen Rahmen anbelangt?
Wir kennen die Kostenträger und behalten die Kosten-Nutzen-Rechnung stets im Auge – es muss gewährleistet sein, dass die Rechnungen beglichen werden. Wir versuchen, auf die Wünsche unserer Kundinnen und Kunden einzugehen, und können vieles möglich machen. Aber eben nicht alles. Das Verhältnis muss stimmen.
Was war bisher der teuerste Umbau?
Wenn eine Bodenabsenkung und der Einbau eines «Joysteers» nötig werden – das ist ein elektronisches Lenk- und Bremssystem, das per Joystick bedient wird –, und die Person zudem mit dem Rollstuhl direkt hinter das Lenkrad fahren muss, dann befinden wir uns im sechsstelligen Bereich. Allerdings sollte man jeden Fall in einem grösseren Zusammenhang betrachten. Wer ein derart umgebautes Fahrzeug benötigt, ist damit 15 Jahre oder länger unterwegs und es fallen keine fremden Transportkosten mehr an, die der Person zustehen. Nach sechs, sieben Jahren ist der Umbau amortisiert. Das relativiert die Kosten und zeigt: Der Aufwand kann sich rechnen und lohnen. Aber solche Aufträge bekommen wir nicht häufig. Es ist eine absolute Nische.
Bauen Sie auch Sportwagen um?
Ja. Wir haben Kundinnen und Kunden, für die nicht die Alltagstauglichkeit im Vordergrund steht, sondern der Fahrspass, der Genuss und das Gefühl von Freiheit. So haben wir schon Ferraris, Porsches oder Lamborghinis umgebaut. Die Leute nehmen in Kauf, dass es mit dem Verstauen des Rollstuhls etwas komplizierter wird. Und sie müssen den Umbau selbst bezahlen.
Und Arbeitsmaschinen?
Auch die passen wir an. Letzthin haben wir eine Strassenreinigungsmaschine umgebaut, damit der Betroffene seine Arbeit auf der Gemeinde weiter ausführen kann. Oder wir haben dafür gesorgt, dass ein junger Bauer die Mähmaschine wieder bedienen kann. Wenn wir einmal an Grenzen stossen, suchen wir hartnäckig nach Lösungen. Dabei entwickeln wir Komponenten, die alle rechtlichen Auflagen erfüllen.
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